- Anhang -

KLEINE GRAMMATIK

 

  Die Neusprache war die in Ozeanien eingeführte Amtssprache und zur Deckung der ideologischen Bedürfnisse des Engsoz erfunden worden. Sie hatte nicht nur den Zweck, ein Ausdrucksmittel für die Weltanschauung und geistige Haltung zu sein, die den Anhängern des Engsoz allein angemessen war, sondern darüber hinaus jede Art anderen Denkens auszuschalten. Wenn die Neusprache erst ein für allemal angenommen und die Altsprache vergessen worden war (etwa im Jahre 2050), sollte sich ein unorthodoxer - d. h. ein von den Grundsätzen des Engsoz abweichender Gedanke - buchstäblich nicht mehr denken lassen, wenigstens insoweit Denken eine Funktion der Sprache ist. Der Wortschatz der Neusprache war so konstruiert, daß jeder Mitteilung, die ein Parteimitglied berechtigterweise machen wollte, eine genaue und oft sehr differenzierte Form verliehen werden konnte, während alle anderen Inhalte ausgeschlossen wurden, ebenso wie die Möglichkeit, etwa auf indirekte Weise das Gewünschte auszudrücken. Das wurde teils durch die Erfindung neuer, hauptsächlich aber durch die Ausmerzung unerwünschter Worte erreicht, und indem man die übriggebliebenen Worte so weitgehend wie möglich jeder unorthodoxen Nebenbedeutung entkleidete. Ein Beispiel hierfür: das Wort frei gab es zwar in der Neusprache noch, aber es konnte nur in Sätzen wie "Dieser Hund ist frei von Flöhen", oder "Dieses Feld ist frei von Unkraut" angewandt werden. In seinem alten Sinn von "politisch frei" oder "geistig frei" konnte es nicht gebraucht werden, da es diese politische oder geistige Freiheit nicht einmal mehr als Begriff gab und infolgedessen auch keine Bezeichnung dafür vorhanden war.
  Die Neusprache war auf der vorhandenen Sprache aufgebaut, obwohl viele Neusprachsätze, auch ohne neu erfundene Worte zu enthalten, für einen Menschen des Jahres 1949 kaum verständlich gewesen wären. Der Wortschatz war in drei deutlich abgegrenzte Klassen eingeteilt, die im folgenden gesondert behandelt werden. Für die rein grammatikalischen Besonderheiten gilt jedoch das unter Wortschatz A Gesagte für alle drei Kategorien.
  Der Wortschatz A bestand aus den für das tägliche Leben benötigten Worten - für Dinge wie Essen, Trinken, Arbeiten, Anziehen, Treppensteigen, Eisenbahnfahren, Kochen u. dgl. Er war fast völlig aus bereits vorhandenen Worten zusammengesetzt, wie schlagen, laufen, Hund, Baum, Zucker, Haus, Feld - aber mit dem heutigen Wortschatz verglichen, war ihre Zahl äußerst klein und ihre Bedeutung viel strenger umrissen. Sie waren von jedem Doppelsinn und jeder Bedeutungsschattierung gereinigt. Es wäre ganz unmöglich gewesen, sich des Wortschatzes A etwa zu literarischen Zwecken oder zu einer politischen oder philosophischen Diskussion zu bedienen. Er war nur dazu bestimmt, einfache, zweckbestimmende Gedanken auszudrücken, bei denen es sich gewöhnlich um konkrete Dinge oder physische Vorgänge handelte.
  Ein Merkmal der Neusprach-Grammatik war die fast vollständige Austauschbarkeit unter den verschiedenen syntaktischen Bestandteilen. Jedes Wort konnte sowohl als Zeit-, Haupt-, Eigenschafts- oder Umstandswort verwendet werden. Zeit- und Hauptwort hatten dieselbe Form, wenn sie die gleiche Wurzel hatten, ja selbst wo kein etymologischer Zusammenhang vorhanden war. Es gab zum Beispiel kein Wort für schneiden, da seine Bedeutung schon hinreichend durch das Hauptwort Messer gedeckt war. Eigenschaftsworte wurden gebildet, indem man dem Hauptwort die Nachsilbe -voll Umstandsworte, indem man -weise anhängte.
  Jedes Wort konnte durch Voranstellung von un- in sein Gegenteil umgewandelt oder durch die Voranstellung von plus- oder von doppelplus- gesteigert werden. So bedeutete beispielsweise unkalt "warm", während pluskalt oder doppelpluskalt "sehr kalt" oder "überaus kalt" bedeuteten. Auch war es möglich, die Bedeutung fast jeden Wortes durch die Voranstellung von vor-, nach-, ober-, unter- usw. abzuwandeln. Diese Methode ermöglichte es, den Wortschatz ganz gewaltig zu vermindern.
  Das zweite hervorstechende Merkmal der Neusprach-Grammatik war ihre Regelmäßigkeit. Abgesehen von einigen nachfolgend erwähnten Ausnahmen folgten alle Beugungen derselben Regel. Bei allen Zeitwörtern waren das Imperfektum und das Partizip der Vergangenheit identisch und endeten auf -te. Das Imperfektum von stehlen war stehlte, von denken denkte usw., während alle Formen wie dachte, schwamm, brachte, sprach, nahm abgeschafft waren.
  Die einzigen Wortarten, die weiterhin unregelmäßig gebeugt werden durften, waren die Fürwörter und die Hilfszeitworte. Ein Wort, das schwer auszusprechen oder leicht mißzuverstehen war, galt eo ipso als etwas Schlechtes: deshalb wurden gelegentlich um des Wohlklangs willen Buchstaben in ein Wort eingeschoben oder veraltete Formen beibehalten. Aber diese Notwendigkeit machte sich vor allem in Zusammenhang mit Wortschatz B bemerkbar.
  Der Wortschatz B bestand aus Worten, die absichtlich zu politischen Zwecken gebildet worden waren, d. h. die nicht nur in jedem Fall auf einen politischen Sinn abzielten, sondern dazu bestimmt waren, den Benutzer in die gewünschte Geistesverfassung zu versetzen. Ohne ein eingehendes Vertrautsein mit den Prinzipien des Engsoz war es schwierig, diese Worte richtig zu gebrauchen. In manchen Fällen konnte man sie in Altsprache oder sogar in Worte aus dem Wortschatz A übersetzen, aber dazu war gewöhnlich eine lange Umschreibung notwendig, und unweigerlich gingen dabei gewisse Schattierungen verloren. Die B-Worte waren eine Art Stenographie, mit der man oft eine ganze Gedankenreihe in ein paar Silben zusammenfassen konnte. Ihre Formulierungen waren zugleich genauer und zwingender als die gewöhnliche Sprache.
  Die B-Worte waren immer zusammengesetzt. Sie bestanden aus zwei oder mehr Worten oder Wortteilen, die zu einer leicht aussprechbaren Form zusammengezogen waren. Die erzielte Verschmelzung war zunächst immer ein Hauptwort, von dem dann in der üblichen Weise weitere Worte abgeleitet wurden. Beispiel: das Wort Gutdenk bedeutete gemeinhin "orthodoxe Haltung, Strenggläubigkeit", als Zeitwort "in orthodoxer Weise denken" (Vergangenheit gutdenkte); als Eigenschaftswort gutdenkenvoll; als Umstandswort gutdenkweise; als aktives Hauptwort Gutdenker.
  Der Stamm der B-Worte konnte Bestandteilen jeder Wortart angehören, die in jeder Reihenfolge angeordnet und beliebig verstümmelt werden konnten, um ein leicht aussprechbares neues Wort zu bilden. In dem Worte Undenk (Verstoß gegen die Parteidisziplin) z. B. stand denken an zweiter Stelle, während es in Denkpoli (Gedankenpolizei) auf die erste Stelle kam, wobei das Wort Polizei seine dritte Silbe einbüßte.
  Manche B-Worte hatten eine höchst differenzierte Bedeutung, die jemandem, der nicht mit der Sprache im ganzen vertraut war, kaum verständlich wurde. Als Beispiel diene ein typischer Satz aus dem Times-Leitartikel: Altdenker unintusfühl Engsoz. Die kürzeste Wiedergabe, die davon in der Altsprache möglich gewesen wäre, hätte lauten müssen: "Diejenigen, deren Weltanschauung sich vor der Revolution geformt hat, können die Prinzipien des neuen englischen Sozialismus nicht wirklich von innen heraus verstehen." Aber das ist keine ausreichende Übersetzung. Man müßte eigentlich, um die volle Bedeutung des oben angeführten Neusprachsatzes zu verstehen, erst eine genaue Vorstellung von dem haben, was mit Engsoz gemeint war. Dazu kommt, daß nur ein völlig im Engsoz aufgegangener Mensch die ganze Kraft des Wortes intusgefühl nachzuempfinden vermag, das eine blinde, begeisterte Hingabe, bezeichnete, die man sich nur schwer vorstellen kann, desgleichen das Wort Altdenk, das untrennbar mit der Vorstellung von Schlechtigkeit und Entartung verknüpft war.
  Wie wir bereits bei dem Wort frei gesehen haben, wurden Worte, die früher einen ketzerischen Sinn hatten, manchmal aus Bequemlichkeitsgründen beibehalten - aber nur, nachdem man sie von ihren unerwünschten Bedeutungen gereinigt hatte. Zahlreiche Worte wie Ehre, Gerechtigkeit Moral, Internationalismus, Demokratie, Wissenschaft und Religion gab es ganz einfach nicht mehr. Sie waren durch ein paar Überbegriffe ersetzt und damit hinfällig geworden. Alle mit den Begriffen der Freiheit und Gleichheit zusammenhängenden Worte z. B. waren in dem einzigen Wort Undenk enthalten, während alle um die Begriffe Objektivität und Rationalismus kreisenden Worte sämtlich in dem Wort Altdenk inbegriffen waren. Eine größere Genauigkeit wäre gefährlich gewesen.
  Kein Wort des Wortschatzes B war ideologisch neutral. Eine ganze Anzahl hatten den Charakter reiner sprachlichen Tarnung und waren einfach Euphemismen. So bedeuteten z. B. Worte wie Lustlager (= Zwangsarbeitslager) oder Minipax (= Friedensministerium = Kriegsministerium) fast das genaue Gegenteil von dem, was sie zu besagen schienen.
  Andererseits zeigten einige Worte ganz offen eine verächtliche Kenntnis der wahren Natur der ozeanischen Verhältnisse. Ein Beispiel dafür war Prolefutter, womit man die armseligen Lustbarkeiten und die verlogenen Nachrichten meinte, mit denen die Massen von der Partei abgespeist wurden. Andere Worte wiederum hatten eine Doppelbedeutung, sie bedeuteten etwas Gutes, wenn sie auf die Partei, und etwas Schlechtes, wenn sie auf deren Feinde angewandt wurden. Aber außerdem gab es noch eine große Anzahl von Worten, die auf den ersten Blick wie einfache Abkürzungen aussahen und ihre ideologische Färbung nicht von ihrer Bedeutung, sondern von ihrer Zusammensetzung bekamen.
  Soweit wie möglich wurde alles, was irgendwie politische Bedeutung hatte oder haben konnte, dem Wortschatz B angepaßt. Der Name jeder Organisation oder Gemeinschaft, jeden Dogmas, jedes Landes, jeder Verordnung, jeden öffentlichen Gebäudes wurde unabänderlich auf den gewohnten Nenner gebracht: in die Form eines einzigen, leicht aussprechbaren Wortes mit möglichst geringer Silbenzahl, von dem man die ursprüngliche Ableitung noch ablesen konnte. Im Wahrheitsministerium z. B. wurde die Registratur-Abteilung, in der Winston Smith beschäftigt war, Regab genannt, die Literatur-Abteilung Litab, die Televisor-Programm-Abteilung Telab usw. Das geschah nicht nur aus Gründen der Zeitersparnis. Schon in den ersten Jahrzehnten des zwanzigsten Jahrhunderts waren solche zusammengezogenen Worte charakteristisches Merkmal der politischen Sache gewesen; wobei es sich gezeigt hatte, daß die Tendenz, solche Abkürzungen zu benutzen, in totalitären Ländern und bei totalitären Organisationen am ausgeprägtesten war. (Nazi, Gestapo, Komintern, Agitprop). Zunächst war das Verfahren offenbar ganz unbewußt und zufällig in Gebrauch gekommen, in der Neusprache aber wurde es vorsätzlich angewandt. Man hatte erkannt, daß durch solche Abkürzungen die Bedeutung einer Bezeichnung eingeschränkt und unmerklich verändert wurde, indem sie die meisten der ihr sonst anhaftenden Gedankenverbindungen verlor. Die Worte Kommunistische Internationale z. B. erwecken das Bild einer weltumspannenden Menschheitsverbrüderung, von roten Fahnen, Barrikaden, Karl Marx und der Pariser Kommune. Das Wort Komintern dagegen läßt lediglich an eine eng zusammengeschlossene Organisation und eine deutlich umrissene Gruppe von Anhängern einer politischen Doktrin denken; es umreißt etwas, das fast so leicht zu erkennen und auf seinen Zweck zu beschränken ist wie ein Stuhl oder ein Tisch. Komintern ist ein Wort, das man fast gedankenlos gebrauchen kann, während man über die Bezeichnung Kommunistische Internationale schon einen Augenblick nachdenken muß. Ebenso sind die Assoziationen, die durch ein Wort Miniwahr hervorgerufen werden, geringer an Zahl und leichter kontrollierbar, als bei der Bezeichnung Wahrheitsministerium. Das erklärt nicht nur die Gewohnheit, bei jeder nur möglichen Gelegenheit Abkürzungen zu gebrauchen, sondern auch die fast übertriebene Sorgfalt, die darauf verwendet wurde, für jedes dieser Worte eine bequem aussprechbare Form zu finden.
  Es überwog in der Neusprache deshalb die Rücksicht auf leicht eingehenden Wohlklang jede andere Erwägung, außer der Genauigkeit der Bedeutung; grammatische Regeln mußten immer zurücktreten, wenn es erforderlich schien. Und das mit Recht, denn man benötigte - vor allem für politische Zwecke - unmißverständliche Kurzworte, die leicht ausgesprochen werden konnten und im Denken des Sprechers ein Minimum an ideenverwandten Erinnerungen wachriefen. Die einzelnen Worte des Wortschatzes B gewannen noch an Ausdruckskraft dadurch, daß sie einander fast alle sehr ähnlich waren. Sie waren fast immer zwei-, höchstens dreisilbig (Gutdenk, Minipax, Lustlager, Engsoz, Intusfühl, Denkpoli), wobei die Betonung ebensohäufig auf der ersten wie auf der letzten Silbe lag. Durch ihre Verwendung entwickelte sich ein bestimmter rednerischer Stil, der zugleich zackig, hohltönend und monoton war.
  Der Wortschatz C bildete eine Ergänzung der beiden vorhergehenden und bestand lediglich aus wissenschaftlichen und technischen Fachausdrücken. Diese ähnelten den früher gebräuchlichen und leiteten sich aus den gleichen Wurzeln ab, doch ließ man die übliche Sorgfalt walten, sie streng zu umreißen und von unerwünschten Nebenbedeutungen zu säubern. Sie folgten den gleichen grammatikalischen Regeln wie die Worte in den beiden anderen Wortschätzen. Sehr wenig C-Worte tauchten in der politischen Sprache oder der Umgangssprache auf. Jeder wissenschaftliche Arbeiter oder Techniker konnte alle von ihm benötigten Worte in einer für sein Fach aufgestellten Liste finden, während er selten über eine mehr als oberflächliche Kenntnis der in den anderen Listen verzeichneten Worte verfügte. Nur einige wenige Worte standen auf allen Listen, doch es gab kein Vokabular, das die Funktion der Wissenschaft unabhängig von ihren jeweiligen Zweigen als eine geistige Einstellung oder Denkungsart ausgedrückt hätte, ja es gab nicht einmal ein Wort für "Wissenschaft", da jeder Sinn, den es hätte haben können, bereits hinreichend durch das Wort Engsoz umschrieben war.
  Es war also in der Neusprache so gut wie unmöglich, verbotenen Ansichten, über ein sehr niedriges Niveau hinaus, Ausdruck zu verleihen. Man konnte natürlich ganz grobe Ketzereien wie einen Fluch aussprechen. Man hätte z. B. sagen können: Der große Bruder ist ungut. Aber diese Feststellung, die für ein orthodoxes Ohr lediglich wie ein handgreiflicher Unsinn geklungen hätte, durch Vernunftargumente zu stützen, wäre ganz unmöglich gewesen, da die nötigen Worte dafür fehlten. Im Jahre 1984, zu einer Zeit also, da die Altsprache noch das normale Verständigungsmittel war, bestand theoretisch immer noch die Gefahr, daß man sich bei der Benutzung von Neusprachworten an ihren ursprünglichen Sinn erinnern konnte. In der Praxis war es für jeden im Zwiedenken geschulten Menschen natürlich nicht schwer, das zu vermeiden, aber schon nach zwei weiteren Generationen würde auch die bloße Möglichkeit einer solchen Entgleisung überwunden sein. Ein mit der Neusprache als einzigem Verständigungsmittel aufwachsender Mensch würde nicht mehr wissen, daß gleich einmal, die Nebenbedeutung von "politisch gleichberechtigt" gehabt oder daß frei einmal "geistig frei" bedeutet hatte, genausowenig wie ein Mensch, der noch nie etwas vom Schachspiel gehört hat, die darauf bezüglichen Nebenbedeutungen von Königin und Turm kennen kann. Viele Verbrechen und Vergehen würde dieser Mensch nicht mehr begehen können, weil er keinen Namen mehr dafür hatte und sie sich deshalb gar nicht mehr vorstellen könnte.
  Es war vorauszusehen, daß im Laufe der Zeit die Besonderheiten der Neusprache immer mehr hervortreten würden - es würde immer weniger Worte geben und deren Bedeutung inimer starrer werden. Auch würde die Möglichkeit, sie zu unlauteren Zwecken zu gebrauchen, ständig geringer werden.
  Sobald die Altsprache ein für allemal verdrängt war, war auch das letzte Bindeglied mit der Vergangenheit dahin. Die Geschichte war bereits umgeschrieben worden, doch gab es da und dort unzureichend zensierte Bruchstücke aus der Literatur der Vergangenheit, und solange jemand die Altsprache verstand, war es möglich, sie zu lesen. In der Zukunft würden solche Fragmente, auch wenn sie zufälligerweise erhalten blieben, unverständlich und unübersetzbar sein. Es war unmöglich, irgend etwas aus der Alt- in die Neusprache zu übertragen, es sei denn, es handelte sich um ein technisches Verfahren oder um einen einfachen alltäglichen Vorgang, oder es war bereits linientreu (gutdenkvoll würde der Neusprachausdruck lauten) in seiner Tendenz. Praktisch bedeutete dies, daß kein vor 1960 geschriebenes Buch, so wie es war, übersetzt werden konnte. Vorrevolutionäre Literatur konnte nur einer ideologischen Übertragung unterzogen werden, das heißt einer Veränderung sowohl dem Sinne als der Sprache nach. Man nehme zum Beispiel die wohlbekannte Stelle aus der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung:

  Wir erachten diese Wahrheiten als selbstverständlich, daß alle Menschen gleich erschaffen worden sind, daß der Schöpfer ihnen gewisse unabänderliche Rechte verliehen hat als solche sind: Leben, Freiheit, und das Streben nach Glück. Daß, um diese Rechte ihnen zu sichern, Regierungen unter den Menschen eingesetzt worden sind, deren gerechte Gewalt sich von der Zustimmung der Regierten herleitet. Daß, wenn immer eine Form der Regierung zerstörend in diese Endzwecke eingreift, das Volk das Recht besitzt, diese zu ändern oder abzuschaffen und eine neue Regierung einzusetzen...

  Es wäre ganz unmöglich gewesen, dies in die Neusprache zu übertragen und dabei den Sinn des Originals zu erhalten. Am nächsten etwa käme diesem Vorgang das Aufgehen dieses ganzen Abschnittes in dem einen Wort: Verbrechdenk. Eine vollständige Übersetzung hätte nur eine ideologische sein können, wobei Jeffersons Worte in eine Lobeshymne auf die absolutistische Regierungsform umgewandelt worden wären.
  Ein großer Teil der Literatur der Vergangenheit war tatsächlich schon in dieser Weise verändert worden. Prestigerücksichten ließen es wünschbar erscheinen, das Andenken an bestimmte historische Figuren beizubehalten, doch so, daß man deren Errungenschaften mit der Linie des Engsoz in Einklang brachte. Verschiedene Schriftsteller wie Shakespeare, Milton, Swift, Byron, Dickens und andere wurden deshalb einer Übertragung unterzogen. Sobald dies vollbracht worden war, wurden sowohl die Originalwerke wie auch alles andere, das aus der Literatur der Vergangenheit übriggeblieben war, vernichtet. Diese Art von Übertragungen waren eine langwierige und mühsame Angelegenheit, und deren Beendigung konnte nicht vor dem ersten oder zweiten Jahrzehnt des einundzwanzigsten Jahrhunderts erwartet werden. Es gab noch eine große Menge reiner Fachliteratur - unentbehrliche technische Handbücher und dergleichen, die in der gleichen Weise bearbeitet werden mußten. Hauptsächlich um Zeit zu den vorbereitenden Übersetzungsarbeiten zu gewinnen, wurde die endgültige Einführung der Neusprache auf einen so späten Zeitpunkt wie 2050 festgesetzt.