Carlos E. Sluzki, Janet Beavin,
Alejandro Tarnopolski, Eliseo Verón

Transaktionale Disqualifikationen

Untersuchungen über die Doppelbindung


Dieser Bericht soll einige theoretische und technische Beiträge zur Untersuchung der Doppelbindung liefern; sie sind das Ergebnis eines Forschungsprojektes über Kommunikation in Familien schizophrener Patienten. Zwei der vorliegenden Arbeiten sind die Beschreibung eines der Forschung zugänglichen Aspekts der Doppelbindungstheorie, wobei ein möglichst niedriger Komplexitätsgrad gewählt und die Daten in Einheiten aufgegliedert wurden, die weder isoliert und deshalb bedeutungslos, noch so komplex sind, dass man sie nicht mehr erfassen kann. Wir wollen zunächst den Begriff der Disqualifikation als operationale Komponente der Gesamtstruktur der Doppelbindung herausgreifen und dann einige Formen der sogenannten transaktionalen Disqualifikation nachweisen, definieren und erklären und zugleich auf eine andere, ebenso wichtige Komponente eingehen, nämlich auf die Reaktion des «Bindungsopfers».

 

Die Doppelbindungshypothese

Disqualifikation ist ihrem Wesen nach eine Form der Doppelbindung, aber sicherlich nicht die einzige. Man kann Doppelbindungen als eine Gruppe von Phänomenen auffassen und Disqualifikation als eine ihrer beobachtbaren Erscheinungsformen.
  Grundsätzlich stimmen wir mit einer wachsenden Anzahl von Fachleuten in der Annahme überein, dass nicht allein genaue Analysen der Kommunikationsmuster Schizophrener, sondern auch deren Familien wichtige Hinweise auf die Beschaffenheit und den Kontext schizophrenen Verhaltens liefern. Ein derartiges Kommunikationsmuster wurde von Bateson, Jackson, Haley und Weakland als Doppelbindung bezeichnet. Der kommunikative Aspekt der Doppelbindung ist der einer paradoxen Anweisung, seitens einer lebenswichtigen Schlüsselperson. Die Doppelbindung ist demnach ein Kommunikationsmuster, das eine bestimmte Struktur hat, deren Bestandteile (Inhalt, Form, Teilnehmer usw.) sich aber je nach den Gegebenheiten der praktischen Situation ändern können, z. B. kann sich die Doppelbindung auf eine Vielzahl verschiedener Inhalte erstrecken und sie reicht von besonderen, vereinzelten Vorfällen (wie im klassischen Beispiel von der Mutter, die kalt zu ihrem Kind sagt: «Komm zu mir, mein Liebling!») bis zu makroskopischen Lebenssituationen (s. z. B. Lus Beschreibung des Abhängigkeits-Leistungs-Konflikts mancher Schizophrener; oder auch Weaklands und Jacksons Analyse der Ausgangssituation eines schizophrenen Schubs).
  Bevor wir uns der speziellen Art von Doppelbindung zuwenden, mit der wir uns in unserer Untersuchung befassen, wollen wir noch einige Betrachtungen über die allgemeine Struktur der Doppelbindung anstellen. Die charakteristischen Merkmale der Doppelbindung wurden von den Autoren folgendermaßen beschrieben: (1) Beteiligung von zwei oder mehreren Personen; (2) wiederholtes Eintreten; (3) eine primäre negative Anweisung; (4) eine sekundäre Anweisung, die der primären auf einer höheren Ebene der Abstraktion widerspricht und wie die primäre durch Bestrafung oder existenzbedrohende Maßnahmen erzwungen wird; (5) eine tertiäre negative Anweisung, die es dem Betreffenden unmöglich macht, sich aus der Situation zurückzuziehen; (6) Wegfallen dieser Voraussetzungen, sobald der Betreffende gelernt hat, seine Umwelt nach den Regeln der Doppelbindung zu erfassen.
  Unter Punkt (1) verstehen wir die Beteiligung von Familienmitgliedern; außerdem beeinflussen Annahmen über die große Intensität der Eltern-Kind-Beziehungen unser Verständnis anderer Elemente des Kommunikationsmusters.
  Das wiederholte Auftreten von Doppelbindungen (2) kann nicht unmittelbar überprüft oder nachgewiesen werden. Man kann es vielleicht in einer bestimmten Zeitstichprobe beobachten, dass heißt aber nicht, dass dieses Interaktionsmuster gewohnheitsmäßig auftritt. Wenn jedoch beides, sowohl die widersprüchlichen Mitteilungen (3) und (4) und eine bestimmte, gleichbleibende Reaktion darauf innerhalb der Zeitstichprobe beobachtet werden kann, so ist der Schluss berechtigt, dass es sich um ein durch wiederholte Erfahrung gelerntes Muster handelt; d. h. wenn wir x beobachten und ein (öfter als jede andere Reaktion auf x) nachfolgendes y, können wir mit größerer Sicherheit annehmen, dass diese beiden Ereignisse durch frühere wiederholte Erfahrung miteinander verknüpft wurden. Wir wollen bereits hier auf eine wichtige Tatsache hinweisen: nämlich dass die Reaktion des Empfängers einer Mitteilung mit Doppelbindungscharakter ebenso wichtig ist wie die Mitteilung selbst.
  Ob die «primäre» Anweisung (3) unbedingt negativ sein muss (also die Form: «tue dies nicht ... » hat), ist Anschauungssache. Die ursprüngliche Definition lautete: «...entweder (a) "tue dies oder jenes nicht, sonst werde ich dich bestrafen", oder (b) "wenn du dieses oder jenes nicht tust, werde ich dich bestrafen"» Da jede Anweisung mittelbar oder unmittelbar eine dieser beiden negativen Formen hat, bezieht sich die eben erwähnte Definition auf jede Anweisung, der durch Strafe oder Drohung Nachdruck verliehen wird.
  Um das dornenreiche Problem einer Hierarchie von Abstraktionsebenen zu vermeiden, kann der in Punkt (4) verwendete Ausdruck «auf einer höheren Ebene der Abstraktion» hier einfach im Sinn von «auf verschiedenen Ebenen» verstanden werden. Derzeit sind die Kriterien für eine endgültige Einteilung der Kommunikationsebenen recht willkürlich; damit soll aber die Vielschichtigkeit menschlicher Kommunikation weder bestritten, noch für bedeutungslos erklärt werden. Jedenfalls muss die «sekundäre Anweisung» auf einer anderen Ebene erfolgen als die primäre.
  Die tertiäre negative Anweisung, die den Betreffenden daran hindert, sich aus der Situation zurückzuziehen, ist nach Ansicht der Autoren in einer Beziehung von lebenswichtiger Bedeutung implizit enthalten und braucht nicht jedesmal eigens gegeben zu werden. Nebenbei bemerkt, kann eine solche Mitteilung selbst eine nachhaltige Doppelbindung darstellen. Weakland stellte fest: Diese Tatsache ist dann offensichtlich, wenn die Abhängigkeit durch die Situation selbst bedingt ist (wie in Kindheit oder Krankheit). Komplizierter jedoch sind jene wichtigen Situationen, in denen die Abhängigkeit (oder die Annahme, abhängig zu sein,) durch andere Mitteilungen in einer umfassenden Doppelbindungskommunikation in einem Grade verstärkt wird, der weit über die physische oder emotionale «Wirklichkeit» der derzeitigen Lebenssituation des Betreffenden hinausgeht.
  Dies ist z. B. dann der Fall, wenn die Eltern dem Kind in verschiedenster Weise zu verstehen geben, dass es nicht erwachsen, sondern unfähig zu selbständigen Entscheidungen ist, die Eltern braucht, die Dinge nicht «richtig» sehen kann usw. In bestimmten Fällen (d. h. wenn die Eltern gleichzeitig selbständiges Verhalten verlangen, oder wenn das «Kind» ein Erwachsener ist und dieser Widerspruch nicht zur Sprache gebracht wird) sind diese Mitteilungen nicht nur doppelbindend an sich, sondern sie schaffen auch eine Beziehung, in der andere Doppelbindungen auftreten können.
  In einer solchen Beziehung - oder in jeder Beziehung von lebenswichtiger Bedeutung - brauchen die primären und sekundären Anweisungen nicht offen gegeben zu werden, d. h. nach Ansicht der heutigen Entwicklungspsychologie liegt es in der Natur familiärer Beziehungen, dass das Kind praktisch nichts, was ihm von den Eltern mitgeteilt wird, unbeachtet lassen kann, sondern dass es alles so genau wie möglich erfassen und wenigstens auf die schwächste implizite Anordnung reagieren muss, nämlich: so und so musst du das oder jenes betrachten. Kurz, wir sind der Meinung, dass im Sinne der oben (1) erwähnten, lebenswichtigen Beziehung zwischen Familienmitgliedern stets sowohl Bestrafung als auch Überleben für das Kind impliziert sind und dass jede Mitteilung eine Art Anweisung darstellt. Der letzte Punkt (6) unterstützt dieses Argument indirekt. In dieser Sicht werden Punkt (3) und (4) einfach zu zwei miteinander unvereinbaren Mitteilungen auf verschiedenen Abstraktionsebenen.
  Diese komplexe Reihe von Voraussetzungen wurde von den Autoren auf folgende allgemeine Merkmale einer Situation reduziert (Titel von uns):
  Die Rahmensituation: Der Betreffende steht in einer sehr engen Beziehung zu einer anderen Person, d. h. in einer Beziehung, in der er es für außerordentlich wichtig hält, genau zu verstehen, welche Art von Mitteilung er erhält, um darauf in der richtigen Weise reagieren zu können.
  Die Mitteilungen: Er findet sich in einer Situation gefangen, in der er vom Partner zweierlei Mitteilungen erhält, von denen die eine der anderen widerspricht.
  Reaktion: Er ist außerstande, diese Mitteilungen mit dem Partner zu besprechen, um auf diese Weise sein Verständnis dafür zu schärfen, auf welche dieser Mitteilungen er reagieren soll, d. h. er ist nicht imstande, darüber zu metakommunizieren.
  Wie wir bereits gesagt haben, kann man die Auswirkung der Rahmensituation in einer Familie als gegeben annehmen, wenn sie auch natürlich niemals nachgewiesen werden kann. In der Familiensituation wird sich unsere Untersuchung der Doppelbindungsmuster auf die beiden anderen Merkmale der Doppelbindung konzentrieren: auf das Auftreten von miteinander unvereinbaren Mitteilungen einer bestimmten Art und auf die Reaktion des Empfängers auf diese Mitteilungen. Es ist wichtig, hier nicht nur die widersprüchlichen Mitteilungen des Binders, sondern auch die Reaktion des Bindungsempfängers zu berücksichtigen. Wir wollen von nun an, in Übereinstimmung mit Weakland, die ursprüngliche Bezeichnung «Opfer» vermeiden, denn die Passivität dieses Ausdrucks stellt die Reaktion des Bindungsempfängers außerhalb des Gesamtmusters. Um die Doppelbindung richtig zu verstehen, ist eine transaktionale Perspektive nötig; würden die unvereinbaren Mitteilungen durch die Reaktion neutralisiert, so läge keine Doppelbindung vor.
  Häufig wird die Bezeichnung Disqualifikation für die erste dieser beiden Merkmale (Widersprüchlichkeit von Mitteilungen oder Mitteilungen, die einander gegenseitig aufheben) gebraucht, und im vorliegenden Referat beziehen wir uns auf diese Widersprüchlichkeit zwischen Mitteilungen oder Mitteilungsaspekten als Disqualifikation. Bisher wurde diese Bezeichnung allerdings allgemein für zwei andere Einheiten der Analyse verwendet: für eine einzelne Mitteilung, d. h. für die (üblicherweise alternierenden) sukzessiven kommunikativen Verhaltensweisen jeder Person, das «Paket» sprachlicher Ausdrücke, des Tonfalls, der Gebärden usw., in einer interaktionellen Situation, und für eine Transaktion d. h. für die Beziehung meist unmittelbar aufeinander folgender Mitteilungen zueinander. Der erste Fall wäre der einer Selbst-Disqualifikation, wie sie Haley und Weakland & Fry beschrieben haben; der zweite, Disqualifikation der anderen Person, wurde von Haley erwähnt und entspricht der von Laing beschriebenen «Mystifikation». Das Hauptinteresse unserer Analyse der Interaktion von Familien Schizophrener gilt der Transaktion, in welcher der zwischenmenschliche Einfluss offensichtlich ist.

 

Transaktionale Disqualifikation

Es ist grundsätzlich möglich, jegliche Art von Kommunikation zu disqualifizieren; auch scheinen die Mittel unbegrenzt, durch die eine Disqualifikation erreicht werden kann, was plausibel erscheint, wenn man bedenkt, welch vielfältige Ausdrucksmöglichkeiten in einer zwischenmenschlichen Situation ununterbrochen im Spiele sind. Wir beschränkten unsere Untersuchung auf schriftlich festgehaltene sprachliche Interaktion, um hinlänglich, wenn auch nicht erschöpfend, abzuklären, was und wie disqualifiziert wird, und wir haben uns speziell mit der Widersprüchlichkeit der Antwort des einen Gesprächsteilnehmers in Bezug auf die These (den Inhalt) der vorausgegangenen Mitteilung einer anderen Person beschäftigt. Die vorhergegangene Mitteilung dient somit als Bezugspunkt für jede Reaktion, die auf sie erfolgt, oder genauer, sie ist ein Teil eines größeren Bezugssystems, welches verschiedene andere metakommunikative Komponenten enthält.
  Wir nehmen bei der Untersuchung dieser Beziehung an, dass die meisten Mitteilungen potentiell fortsetzbar sind - d. h. man kann auf sie reagieren - und dass in vielen interpersonellen Situationen, wie in einer Gruppendiskussion über ein gemeinsames Problem oder eine Frage, Kontext bedingte Hinweise dafür sorgen, dass in der Aufeinanderfolge von Mitteilungen jede stets eine Reaktion auf die vorhergehende ist, es sei denn, dass dies ausdrücklich als nicht zutreffend bezeichnet wird. Bei zwei Personen ist diese Annahme einfach und praktisch unleugbar; in einer Familiengruppe von mehr als zwei Personen wird die Situation komplizierter, denn jede einzelne Feststellung kann ebenso gut für irgendein anderes Familienmitglied oder für alle bestimmt sein und es wäre pedantisch, würde man hier an einer strikten Kontinuität festhalten. Dieses Problem kann man in der Forschung dadurch bewältigen, dass man eine Mitteilung mit der vorhergehenden Mitteilung jeder anderen Person vergleicht, nicht nur mit der unmittelbar vorangegangen, in der Hoffnung, damit der Komplexität, der sich die Teilnehmer einer solchen Gesprächssituation gegenüber sehen, gerecht zu werden, d. h. die Wahrscheinlichkeit der nachfolgenden Mitteilungen wird durch den Inhalt einer gegebenen Mitteilung a eingeschränkt. Ist a eine Frage, so ist es z. B. wahrscheinlicher, dass die nächste Mitteilung eine Antwort und nicht wiederum eine Frage oder, noch unwahrscheinlicher, eine zusammenhanglose Feststellung ist. In jedem Fall ist die Antwort, die neue Frage und die zusammenhanglose Feststellung eben eine Antwort, eine Frage oder eine zusammenhanglose Feststellung in Bezug auf die Mitteilung a. Das bedeutet, dass man alle drei Möglichkeiten einer Reaktion auf a als Teil eines durch die ursprüngliche Frage, die Mitteilung a, festgelegten Beziehungsgefüges verstehen muss. (Natürlich gilt das gleiche für jede andere Form der Mitteilung a. Die Beziehung zwischen zwei aufeinander folgenden Mitteilungen kann mit Hilfe der Analyse des Inhalts beider Mitteilungen erschlossen werden, und ebenso können auf diese Weise etwa enthaltene offene Stellungnahmen zu der in Frage stehenden Beziehung (metakommunikative Hinweise) gefunden werden. Ohne Zweifel kommen in freien Gesprächen offene metalinguistische Hinweise weniger häufig vor als in formaler Interaktion, bei welcher das «Rauschen» stärker ist oder weniger Kanäle zur Verfügung stehen. Viele metakommunikative Aussagen werden implizit gemacht und gewöhnlich aus dem Kontext der Mitteilung abgeleitet, was wiederum die Bedeutung der vorhergehenden Mitteilung als wichtigen Teil dieses Kontextes unterstreicht.
  So ist der Kontext der Mitteilung b - die Tatsache also, dass ihr Mitteilung a vorausging - immer gegeben, und Mitteilung b enthält diesen Aspekt implizit immer, außer wenn ein anderer Hinweis erfolgt, z. B. wenn nicht ausdrücklich auf eine andere Mitteilung bezogen, ist jede Mitteilung b, welche nach einer Frage a gegeben wird, eine Antwort auf diese Frage. Fehlen metakommunikative Indikatoren und der Inhalt ist unvereinbar mit dem Kontext, oder sind solche Indikatoren vorhanden, der Inhalt jedoch im Widerspruch zu ihnen, so haben wir es mit einer Disqualifikation der Mitteilung a durch Mitteilung b zu tun. Mitteilung b hat also eine bestimmte Bedeutung, wenn sie aus dem Kontext herausgelöst (rein dem Inhalt nach) beurteilt wird, jedoch eine andere, wenn sie innerhalb des interaktionellen Kontextes, d. h. der Kommunikatonssequenz, gesehen wird. Es muss noch ausdrücklich betont werden, dass jede dieser Bedeutungen innerhalb ihres eigenen Bezugssystems konsistent ist. Und dies ist eines de wichtigsten formalen Kennzeichen der Paradoxie, die sie vom bloßen Widerspruch unterscheidet: Zwei innerhalb ihres eigenen jeweiligen Beziehungsgefüges völlig folgerichtige Sätze sind miteinander unvereinbar. Darauf beruht der besondere unlösbare - wenn auch pragmatisch vorhandene - ja-und-nein, wahr-aber-falsch Aspekt der Paradoxie.
  Die unmittelbare Wirkung einer Disqualifikation kann je nach ihrem Kontext völlig verschieden sein. Sie kann Lachen oder Ärger, meist aber Verwirrung auslösen, da der erste Gesprächspartner keine klaren Angaben darüber erhält, ob der zweite ihm zustimmt oder nicht, ob er ihn verspottet, ärgerlich ist oder den Inhalt der Mitteilung a bereits kannte; er bleibt sozusagen in der Luft hängen. Der bereits erwähnte Grund hierfür ist, dass die eine wie die andere der beiden möglichen Bedeutungen - diejenige außerhalb des Kontextes oder die im Kontext - vom Sender als die «richtige» hingestellt werden kann, ohne dass dazu der Wortlaut der disqualifizierenden Mitteilung geändert zu werden braucht. Verschiedene Beispiele transaktionaler (sprachlicher) Disqualifikation und ihrer komplizierteren Formen sollen nun diese Ausführungen erläutern.

 

Beispiele transaktionaler Disqualifikation

Die folgenden Beispiele sind Tonbandaufnahmen von Erstinterviews mit Familien entnommen, die jeweils aus Vater, Mutter, einem jugendlichen schizophrenen Sohn und einem Bruder oder einer Schwester bestanden. Die Interviews wurden in der psychopathologischen Abteilung des G. Aráoz Alfaro Spitals in Lanús, Buenos Aires, in spanischer Sprache durchgeführt. Die Beispiele wurden mit größter Rücksicht auf Genauigkeit und Klarheit übersetzt. Am Rande sei festgehalten, dass die kulturellen Unterschiede zwischen den Familien in den Interviews und schizophrenen amerikanischen Familien, wie sie in der Literatur beschrieben oder von den Autoren beobachtet wurden, auf der betrachteten Analyseebene (der Ebene der Kommunikation) bemerkenswert gering zu sein scheinen. Die untersuchte Gruppe könnte zusammenfassend als schismatisch beschrieben werden.
  Ausweichen - Themawechsel: Wenn eine Äußerung a einen bestimmten Diskussionspunkt nicht eindeutig abschließt und eine darauf folgende Äußerung b einen neuen Themenbereich anspricht, ohne den Wechsel jedoch als solchen anzuzeigen, dann bedeutet die Mitteilung b eine Disqualifikation der Mitteilung a, da sie insofern inkongruent ist, als sie vom Inhalt her keine Reaktion auf a darstellt, während sie vom Kontext her als Reaktion gelten muss. Dabei ist es nicht von Bedeutung, ob die Aussage b an sich sinnvoll ist oder nicht; erst die Beziehung von a zu b ergibt die transaktionale Disqualifikation...
Es ist klar, dass die Entscheidung, ob ein Ausweichen vorliegt oder nicht, weitgehend von der Abgrenzung des Themenbereichs abhängt, wobei bei einer zu weit gefassten Definition überhaupt kein und bei einer zu engen nur flüchtiges Ausweichen vorkommt. Diese thematische Begrenzung wiederum hängt vor allem von der Situation ab, in der sich die gesamte Interaktion vollzieht. Der Einfachheit halber wurden oben ziemlich extreme Beispiele gewählt - eindeutig evasiv im jeweiligen, tatsächlichen Zusammenhang und wahrscheinlich evasiv in nahezu jedem anderen Kontext.
  Neben der Nichtübereinstimmung von Kontext und Inhalt kann Ausweichen noch in anderer Form auftreten. So läßt sich z. B. die Unterstellung, dass dieses Ausweichen eine Disqualifikation sei, in verschiedenster Weise bestreiten. Wenn Mitteilung a des Partners A durch B's Äußerung b ignoriert wird, so kann B sich im weiteren Verlauf damit entschuldigen, dass er sagt, «Ich habe dich nicht verstanden», oder «Ich wusste nicht, dass du eine Antwort erwartest», oder indem er behauptet, dass sein Themawechsel nicht wirklich ein Wechsel des Themas ist, denn tatsächlich bestünde eine (undefinierte) Beziehung zu a. Dies hat zur Folge, dass A keinen klaren Anhaltspunkt zu B's Reaktion auf a erhält - genau genommen keinerlei Anhaltspunkt, dass a überhaupt stattfand.
  Der «Taschenspielertrick»: Hier wird ein Themenwechsel als Antwort hingestellt, d. h. b ist seinem Inhalt nach - wie beim Ausweichen - neu, aber zusätzlich wird es als Antwort auf a ausgegeben. Diese Hinstellung braucht nicht notwendigerweise wortwörtlich zu erfolgen (etwa im Sinne: «Ich antworte dir»), sondern kann sich praktisch auf jeden feststellbaren Hinweis darauf stützen, dass die ihr vorangegangene Mitteilung erhalten wurde...
Innerhalb dieser Kommunikationsform gibt es mehrere Sonderformen sprunghafter Themenwechsel.
  a) Literalisierung - Dies ist ein Wechsel vom offensichtlichen Inhalt von a zum wörtlichen Bedeutungsniveau in b, ohne dass der Wechsel klar umrissen oder als solcher bezeichnet wird; b ist daher keine zutreffende Antwort auf a...
  b) Spezifizierung - Sie bedeutet eine spezifische Antwort auf ein allgemeines Thema...
Man beachte den Unterschied zwischen Spezifizierung und Literalisierung. Bei ersterer handelt es sich um einen Sprung von einer allgemeinen zu einer spezifischen Bedeutung, im zweiten Falle von einem metaphorischen zu einem wortwörtlichen Sinn.
  Rang-Disqualifikation: Hier vollzieht sich der Bedeutungswechsel vom Inhalt zur Person eines der Sprecher, der zu diesem Zweck auf seinen höheren Rang pocht; d. h. b impliziert, dass die Äußerung deswegen nicht gültig ist, weil A eine bestimmte Art von Person ist, oder weil B's Wissen jenem A's überlegen ist, oder weil B im Recht ist usw. Natürlich ist es kein Themenwechsel und keine Disqualifikation, die Mitteilung a sich auf derartige Eigenschaften von A oder B bezieht...
Rang-Disqualifikationen enthalten also mehr als nur einen grundlegenden Wechsel des Themas. Erstens vollzieht sich dieser in einer ganz bestimmten persönlichen Richtung und wirkt sich in einer ziemlich unklaren, unbeantwortbaren und den anderen herabsetzenden Weise aus. Außerdem ist diese Herabsetzung nicht für eine unmittelbare, sondern auch eine vorwegnehmende, da eine unbestimmte Anzahl zukünftiger Äußerungen A's im Kontext der gleichen Disqualifikation gesehen werden können. Die betreffende Person braucht noch nicht einmal gesprochen zu haben, und dennoch kann diese Vorwegnahme bereits unterstellt sein...
  Redundante Frage: Mitteilung a ist eine erklärende Feststellung; b ist eine Frage auf der gleichen Ebene wie a (nicht eine metakommunikative wie «wie», «warum» usw.), in der mindestens ein Teil dessen, was in a gesagt wurde, wiederholt wird. Dies drückt Zweifel oder Nichtübereinstimmung aus, ohne dass dies offen ausgesprochen wird...

 

Zusammenfassung

Unsere bisherige Darstellung schöpft die Möglichkeiten von Disqualifikationen selbst nicht innerhalb des relativ beschränkten Gesprächsrahmens aus. Man kann sich weitere Möglichkeiten vorstellen, obwohl sie bisher nicht beobachtet wurden, z. B. könnte es ein Gegenbeispiel zur Spezialisierung geben (Disqualifizierung durch Übergeneralisierung) oder zur Literarisierung (ein unangebrachter Wechsel zur Metapher). (Hier meinen wir die Kommunikation «normaler» Familienmitglieder; nicht als solche bezeichnete Metaphern sind bekanntlich eine verbreitete Form der Disqualifikation in den Äußerungen Schizophrener.) Andere Reaktionsmuster sind eindeutig disqualifizierend, sie können jedoch begrifflich nicht in einer ebenso formalen Weise erfasst werden wie die oben beschriebenen; so bleiben sie idiosynkratisch und eine Sache des Eindrucks, auch wenn an ihrer Gültigkeit nicht zu zweifeln ist.
  Wie schon erwähnt, untersuchten wir die Beziehung zwischen dem Inhalt einer Mitteilung zu dem der vorangegangenen Mitteilung einer anderen Person. Dabei verwendeten wir zwei Parameter: Die Kontinuität zwischen Inhalten von Mitteilungen und die Anzeichen für die Erfassung einer Mitteilung. Mit Kontinuität meinen wir die gleiche Bedeutung, das gleiche Thema oder die gleiche Kommunikationsebene zweier aufeinander folgender Mitteilungen. Indikatoren der Erfassung sind implizite oder explizite Hinweise (Metakommunikationen) darauf, dass die vorhergehende Mitteilung aufgefasst wurde; will man dies mehr operational ausdrucken, so heißt das, dass sie Elemente einer Mitteilung sind, die sich auf das Vorliegen einer früheren Mitteilung seitens einer anderen Person beziehen. In Familienuntersuchungen muss man wahrscheinlich die Definition solcher Anzeichen sehr weit fassen, besonders im Hinblick auf den geringen Grad an Förmlichkeit der Interaktion und die allen Familienmitgliedern gemeinsame Geschichte der Familie, in deren Kommunikation aus diesen Gründen vernünftigerweise nicht von der gleichen klaren, sorgfältigen Ausdrucksweise Gebrauch gemacht wird wie in der Kommunikation zwischen Fremden in einer förmlichen Beziehung. Innerhalb dieser weiten Grenzen gelten nicht nur offene metalinguistische Bemerkungen («Schon recht...» oder «Das stimmt ... ») als Hinweis, sondern auch mittelbare Andeutung, wie «Tja», «Hm» oder irgendeine eindeutige Wiederholung von Teilen des Inhalts von Äußerung a und b. Durch die Verbindung dieser beiden dichotomen Parameter erhalten wir eine Definition der transaktionalen Disqualifikation: Diskontinuität des Inhalts ohne Beweis seiner (richtigen) Erfassung. Die drei anderen Möglichkeiten, die sich aus der Kombination der beiden dichotomen Variablen ergeben, bezeichnen verschiedene Arten nicht-disqualifizierender Transaktionen: Kontinuität mit oder ohne Hinweis auf die Erfassung (der im Fall der Kontinuität überflüssig ist) und inhaltliche Diskontinuität bei gleichzeitigem Vorliegen von Beweisen, dass die Mitteilung erfasst wurde (z. B. also solche bezeichnete Themenwechsel oder die dem Kontext entsprechende Spezifizierung). Es ist nun nötig, den Begriff der «richtigen» Erfassung einer Äußerung genauer herauszuarbeiten; denn wie unsere Beispiele zeigen, wurde die Mitteilung a häufig nicht richtig aufgefasst, so dass feststellbare Anzeichen für die Erfassung dem Sinn der Äußerung nicht entsprachen. Oder, in einer von Rückschlüssen unabhängigeren Formulierung: b war anscheinend keine Antwort auf den erfassbaren Sinn von a. Wenn wir die verschiedenen Arten der Disqualifikation unter diesem Aspekt betrachten, ergibt sich folgendes:
  Ausweichen ist der einfache Fall von inhaltlicher Diskontinuität darauf, dass die Mitteilung wahrgenommen worden war (b sagt nichts ohne Hinweis darüber aus, dass a je stattfand).
  Der «Taschenspielertrick» ist ein Themawechsel, der den Erhalt der Mitteilung in inhaltlich unzutreffender Weise andeutet. Im Falle der Literarisierung und der Spezifizierung ist der Abstraktionsgrad des Themas diskontinuierlich (metaphorisch-buchstäblich, allgemein-spezifisch); mit oder ohne eindeutigen Beweisen der Erfassung lässt sich dabei eine Reaktion auf a feststellen, die aber dem Sinn von a nicht entspricht.
  Rang-Disqualifikation bedeutet Diskontinuität (vom Inhalt zur Person) mit unklaren oder unrichtigen Hinweisen auf den Erhalt von a, d. h. b kann andeuten, dass eine Mitteilung stattfand, aber nicht die übermittelte. (Wie schon erwähnt, kommt hier noch das zusätzliche Element des relativen Ranges mit ins Spiel).
  Redundante Fragen sind ein besonderer Fall, denn hier ist, per definitionem, nicht nur die Kontinuität gewahrt, sondern der Inhalt wird wiederholt - in Frageform; es liegt aber im Wesen dieser Interaktion, dass in ihr Frage (b) am besten durch die ihr vorhergehende Äußerung a beantwortet wird. Die Frage (b) impliziert also, dass a sowohl stattfand als auch nicht, und die scheinbare inhaltliche Kontinuität führt sich so selbst ad absurdum.
  Disqualifikation über einen anderen als den sprachlichen (linguistischen) Kanal. Wie schon früher gesagt, haben wir in erster Linie verbales Material aus unseren Familieninterviews für unsere Untersuchung verwendet, wobei wir ein reiches Maß an Information, die über andere Kanäle als den verbalen und über verschiedene Kanäle, einschließlich dem verbalen, gleichzeitig übermittelt wird, unberücksichtigt ließen. Es gibt ohne Zweifel viele Arten transaktionaler Disqualifikationen, die nur mit Hilfe einer Analyse komplexen und vielschichtiger Kommunikationselemente (Schefflens Beobachtungen über «Modalitätstrennung») festgestellt und beschrieben werden könnten. Auch wenn diese Disqualifikationen hier nicht besprochen werden, wollen wir als Beispiel die Nichtübereinstimmung zwischen verschiedenen Kanälen erwähnen; d. h. die Mitteilung b kann die Mitteilung a ihrem Inhalt nach beantworten, während ein anderer Aspekt von b, sagen wir B's Gesichtsausdruck, einen Mangel an Interesse, Geringschätzung oder Ärger anzeigen kann. Es handelt sich also um Ausdrücke, deren Bedeutung, falls beanstandet, geleugnet werden kann. Eine Reihe von Beispielen der Autoren der Doppelbindungstheorie kann in diese Kategorie eingereiht werden.
  Eine andere Art der Disqualifikation ist in einer Analyse sprachlichen Materials schwer unterzubringen, nämlich das Schweigen nach einer Feststellung, die eine Antwort erfordert. Schweigen mitten in einer Folge von Mitteilungen kann verschiedene mögliche Bedeutungen mit einer starken Tendenz zur Zweideutigkeit haben; «Sagtest du etwas?» oder «ich dachte über eine Antwort nach» sind Antworten, die jede mögliche negative Bedeutung der stummen Feststellung neutralisieren können. Aber die Tatsache, dass nicht sprachliche Hinweise oft sprachliche ersetzen oder qualifizieren können, unterstreicht die Notwendigkeit einer Untersuchung auch anderer Kanäle als nur des sprachlichen, um auch diese Art der Disqualifikation zu erfassen.

 

Einige Bemerkungen über Pathogenese:

Rahmensituation und Reaktion

Die Frage nach den pathogenen Eigenschaften der Doppelbindung ist weder neu noch ein für allemal beantwortet, und unsere Stellungnahme zu ihr bedarf einer Erklärung.
  Die Disqualifikation ist ein ziemlich allgemeines und sogar zweckdienliches kommunikatives Manöver, dessen sich nicht nur schizophrene, pathologische Gruppen bedienen, sondern auch Normale. Sie ist eng verknüpft mit Spiel, Phantasie, Psychotherapie und Humor und ist daher nicht an und für sich pathologisch. Es gibt keine «bösartigere» (d. h. pathogene) oder «harmlosere» Disqualifikation, da die Pathogenese nicht in der Disqualifikation als einer isolierten Kommunikationsform liegt, sondern in den in einer solchen Situation gelernten Verhaltensmustern und in der durch jede Wiederholung verstärkten Wirkung der ganzen Folge von Verhaltensweisen. Dies bringt uns zu der eingangs gemachten Unterscheidung zwischen dem Doppelbindungsmuster - Rahmensituation, Mitteilungen und Reaktion - und dem zweiten Element, welches wir hier Disqualifikation nennen. Natürlich sind die widersprüchlichen Mitteilungen empirisch entscheidend; sie fallen dem Beobachter auf und lenken seine Aufmerksamkeit auf eine ganz bestimmte Kommunikations-Folge. Aber sie sind keine isolierten, linear-kausalen traumatischen Ereignisse; die Doppelbindung ist ein Muster der Interaktion zwischen zwei oder mehreren Personen.
  Dieses Interaktionsmuster hat einen bestimmten allgemeinen Kontext oder Rahmen, die Kernfamilie; möglicherweise sind bestimmte Verhaltensbereiche innerhalb der Familie wichtiger als andere, wodurch das Konzept der Rahmensituation enger gefasst werden müsste als die Familieninteraktion in ihrer Gesamtheit. Der Einfluss der Rahmensituation kann generell als sicher gelten, aber es ist schwierig, ihn genau zu erfassen.
  Das andere Element jedoch, die Reaktion auf die widersprüchlichen Mitteilungen, ist nicht nur unmittelbar beobachtbar, sondern es steht in direktem Zusammenhang mit der Untersuchung des Wesens und des Kontextes schizophrener Kommunikation. Unser Ansatz zieht alle möglichen Reaktionen auf eine disqualifizierende Mitteilung in Betracht und stellt ein hypothetisches Repertoire von Alternativreaktionen auf solche kommunikativen Ereignisse zusammen. Wir nehmen dabei an, dass die Wahl einer bestimmten Reaktion nicht ein Zufallsereignis, sondern das Ergebnis eines sogenannten Lernvorgangs zweiter Ordnung ist, was heißen soll, dass eine Person solche Reaktionen bevorzugen wird, die sich früher als die erfolgreichsten bei der Bewältigung einer solchen Situation erwiesen haben.
  Es gibt vier mögliche Reaktionen auf eine disqualifizierende Äußerung: ausdrückliche Stellungnahme, Flucht, Annahme und Gegendisqualifikation. Die ersten beiden Reaktionen vermeiden oder verhindern eine Doppelbindung.
  Stellungnahme. Dies wäre jede Form der Forderung nach Erklärung oder eines ausdrücklichen Hinweises auf die Widersprüchlichkeit der Mitteilungen.
  Flucht. Hierbei handelt es sich nicht notwendigerweise um einen physischen, buchstäblichen Rückzug aus der Beziehungssituation. Die Weigerung, weiter auf den Partner einzugehen, oder ein Abbrechen der Interaktion und ihre Wiederaufnahme vom Ausgangspunkt aus kann ebenfalls die Doppelbindung umgehen. Ein Beispiel dieser Art findet man in der Äußerung, mit der der Sohn zwar nicht ausdrücklich auf die Widersprüchlichkeit des vorausgehenden «Taschenspielertricks» des Vaters hinweist, aber mit ihm fertig wird, indem er ihn nicht akzeptiert und hartnäckig von vorn beginnt. Im allgemeinen muss man sich jedoch fragen, wie wirkungsvoll eine Flucht letzten Endes ist. Das Wesen der Beziehung, die den Rahmen der Interaktion bildet, verbietet eine Flucht über eine bestimmte Grenze hinaus: Das Kind kann sich nicht mehr als zeitweise und teilweise aus der Beziehung zurückziehen. Wir vermuten, dass eine extreme oder andauernde Flucht nur dadurch möglich ist, dass sie sich irgendwie selbst leugnet und dass sich hierfür eine Gegendisqualifikation oder symptomatisches Verhalten als das wohl naheliegendste Vorgehen anbietet.
  Annahme. Eine andere Art der Reaktion auf die Disqualifikation ist das Eingehen auf nur eine der beiden (oder mehreren) möglichen Bedeutungen, als ob diese eine Bedeutung die richtige wäre, und die anderen daher unberücksichtigt gelassen werden können. Gewöhnlich läuft diese Reaktion darauf hinaus, dass die Disqualifikation der betreffenden Situation hingenommen wird, ohne zur Sprache zu kommen...
  Die Gegendisqualifikation. Eine Reaktion, der für unsere Untersuchung große Bedeutung zukommt, ist die der neuerlichen Disqualifikation, insbesondere in der Form symptomatischen Verhaltens. Wenn man gezwungen ist zu reagieren, es jedoch keine richtige Reaktion gibt, so stellt eine Kommunikation, die vorgibt keine zu sein - eine Disqualifikation der eigenen Aussage oder der Aussage des anderen -, eine mögliche und sogar angemessene Reaktionsweise dar. Diese führt nicht zur ursprünglichen Themenstellung und Ebene der Diskussion zurück, sondern verstärkt noch die Verwirrung über den Diskussionsgegenstand durch eine bizarre Aufeinanderfolge von Neudefinitionen...
  Was die Schlussfolgerungen dieser theoretischen Überlegungen betrifft, so ist der Beweis für das Auftreten des Doppelbindungsmusters in der Reaktion auf die Reaktion zu sehen, d. h. kann die entstandene Situation geklärt werden? Wird die Klärung gefördert, unterstützt oder wenigstens gestattet? Wird die Flucht verhindert? Wird die Kommunikation auf der einen Bedeutungsebene angenommen und weitergeführt, und wird sie durch die auf der anderen Ebene verstärkt? Oder wird eine Gegendisqualifikation, besonders wenn sie im Zusammenhang mit schizophrenem Verhalten auftritt, zugelassen? In Fällen wie den hier beschriebenen wird dies fast vorgeschrieben oder begünstigt, und dadurch wird ein pathologischer Teufelskreis hergestellt. Man kann bei der Untersuchung dieser Reaktionen die allgemeinen Muster dieser Unteraktion ziemlich genau rekonstruieren und daraus die Aspekte des Deutero-Lernens ableiten, die für Hypothesen der Pathogenese besonders wesentlich sind.

 

Schlussbemerkungen

Der Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit und unserer Forschung im allgemeinen ist das Auffinden von Interaktionsmustern. Mit großer Regelmäßigkeit finden wir in den Familien schizophrener Patienten Disqualifikationen, denen bestimmte Verhaltensabläufe der hier beschriebenen Arten folgen, die ihrerseits zur Festigung der Doppelbindung und damit zur Verstärkung idiosynkratischer Interaktionsmuster beitragen. In diesem Vorgang, der eine ganz bestimmte Beziehungsform zur Umwelt voraussetzt und in dem bestimmte Reize systematisch verleugnet, bestimmte Bedeutungen systematisch unterdrückt, Wahrnehmungen eingeschränkt und Klärungsversuche bestraft werden - in diesem Vorgang könnte unserer Meinung nach die Pathogenese der Schizophrenie zu finden sein.

 

Literaturhinweise

Carlos E. Sluzki, Janet Beavin, Alejandro Tarnopolski, Eliseo Verón: Transacciones descalificadoras, Investigación sobre el «doble vinculo». In: Acta psiquiátrica y psicológica de América Latina vol. 12 [S. 329-342] 1966.

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