John H. Weakland

»Double-Bind« Hypothese
und Dreier-Beziehung

 


In einem früheren Aufsatz (1) haben meine Kollegen und ich ein Kommunikationsschema, das zu einem für Schizophrenie charakteristischen Verhalten führt, als double bind konzipiert. Im Mittelpunkt unseres Interesses stand dabei die Interaktion zwischen zwei Personen, insbesondere die Kommunikation zwischen Mutter und Kind. Seither ist unser Interesse an den Dreier-Beziehungen gewachsen, an denen unsere Patienten teilnehmen, wobei es uns vor allem um die Beziehung Vater-Mutter-Kind sowie um institutionelle Beziehungen wie die von Stationsleiter-Therapeut-Patient und Arzt-Schwester-Patient geht. Diese Dreier-Situationen sind zwar offenkundig anders und komplexer strukturiert als die vorher untersuchten Zweier-Beziehungen, doch zeigen sie bedeutende Ähnlichkeiten, untersucht man sie hinsichtlich der Struktur einer widersprüchlichen Kommunikation, welcher der Patient ausgesetzt wird.

Unser genereller Standpunkt und unsere spezifischen Begriffe und Hypothesen beruhen auf einer detaillierten und intensiven Untersuchung von Tonband- und Film Aufzeichnungen, die wir von der echten Kommunikation der Patienten mit Menschen gefertigt haben, welche in ihrem Leben eine wichtige Rolle spielen. Anfangs hatten wir in der Hauptsache die Kommunikation zwischen Patienten und Therapeuten im Einzelinterview untersucht, doch konzentrieren wir uns seit einigen Jahren immer mehr auf die Interaktion der Patienten mit ihren Familienangehörigen auf familientherapeutischen Sitzungen oder auch einfach in der Familiengruppe. Allerdings legen wir in diesem Aufsatz unsere Primärdaten nur in begrenztem Umfang dar. Im Zentrum soll die Anwendung der Methode und der damit erlangten Einsichten auf die Analyse der Dreier-Beziehung sowie auf die Wechselbeziehung der Beobachtungen stehen, die von verschiedenen anderen Schizophrenieforschern mitgeteilt wurden. Wir hoffen, auf diese Weise weitere Evidenz für unsere bisherigen Befunde zu erbringen, eine schizophrenogene Grundstruktur zu klären, die in einer Vielzahl von besonderen Situationen gegeben ist, sowie einer Orientierung an der Kommunikation das Feld zu bereiten, einer Betrachtungsweise also, die der orthodoxen Psychiatrie einigermaßen fremd ist, deren erkenntnisfördernder Wert von uns aber hoch veranschlagt wird.

 

Der Grundbegriff des »double bind«:

die Zweier-Beziehung

Wir möchten zunächst unsere ursprüngliche Auffassung des double bind kurz referieren und dann zeigen, wie diese Auffassung bei der Klärung einer schizophrenen Dreier-Beziehung helfen kann. Um Missverständnissen vorzubeugen: Wir behaupten nicht, dass double binds bei der Entstehung der Schizophrenie den einzigen wichtigen Faktor darstellen oder dass diese komplexeren Situationen »nur double binds« sind. Wir meinen jedoch, dass dieser Begriff zur Erkenntnis gewisser Ähnlichkeiten verhelfen kann, die für Schizophrenie in bestimmten verschiedenartigen Situationen bedeutsam sind.

Unsere ursprüngliche Position haben wir wie folgt umrissen:

Die allgemeinen Merkmale dieser Situation [des double bind] sind folgende:

  1. Das Individuum ist in eine intensive Beziehung verstrickt; das heißt in eine Beziehung, in der es ihm als lebenswichtig erscheint, ganz genau zu unterscheiden, welche Art von Botschaft ihm übermittelt wird, damit es entsprechend reagieren kann

  2. Das Individuum ist in einer Situation gefangen, in der die andere Person in der Beziehung zwei Arten von Botschaft ausdrückt, von denen die eine die andere aufhebt.

  3. Und das Individuum ist nicht in der Lage, sich mit den ausgedrückten Botschaften kritisch auseinander zu setzen, um seine Entscheidung, auf welche Botschaft es reagieren soll, zu korrigieren, d. h. es kann keine metakommunikative Feststellung treffen. (Andere frühe Feststellungen unserer Forschungsgruppe sind im wesentlichen ähnlich, wenn auch einige Unterschiede in Terminologie und Akzentsetzung bestehen.)

Diese Art, die Kommunikationslage des double bind darzustellen, zielt natürlich darauf ab, die Struktur von Botschaften zu charakterisieren, die von einem binder, dem Urheber dieser Situation, ausgehen. In unserer anfänglichen Arbeit war es einfach dringend notwendig, diesen Punkt zu betonen - entgegen den herrschenden Meinungen, die sich an die Physiologie oder aber an die Phantasie hielten, darauf zu pochen, dass wirkliche Menschen einander wirkliche, beobachtbare Botschaften übermitteln, die schizophrene Reaktionen auslösen können. Wie wir die Situation darstellten, gibt die eine Person der anderen zwei aufeinander bezogene, aber gegensätzliche bzw. inkongruente Botschaften, die widersprüchliche Gebote darstellen, wobei sie zugleich zu verhindern sucht, dass das »Opfer« ihr entkommt oder die Unvereinbarkeit bemerkt und kommentiert.

Diese Auffassung ist jedoch in zweierlei Hinsicht einseitig. Erstens müssen wir ausdrücklich feststellen, dass derartige Beziehungen damit nicht insgesamt oder vollständig erfasst sind. Zwar mag dieses einseitige Bild von »Urheber« und »Opfer« für die ganz frühe Eltern-Kind-Beziehung einigermaßen zutreffen, doch erlernt das »Opfer« bald ähnliche oder entsprechende Kommunikationsmuster - sei es, dass es selbst inkongruente Botschaften von sich gibt oder dass es auf jede Kommunikation von anderen reagiert, als sei sie widersprüchlich und lähmend. Dieses Verhalten trägt stark dazu bei, die allumfassenden Strukturen der Kommunikation und Interaktion, die in den Familien Schizophrener zu finden sind, aufrechtzuerhalten und die Psychotherapie mit solchen Patienten zu erschweren; hartnäckig vorgebrachte Botschaften dieser Art drängen den Therapeuten in eine ähnlich pathogene Interaktion mit dem schizophrenen Patienten.

Zweitens wird man, wenn man das Schwergewicht auf die Aussendung von Botschaften legt, daran gehindert, die Situation vom Gegenpol aus zu betrachten - vom Standpunkt der Person, welche die double bind Botschaften empfängt und darauf reagiert. Dieser Standpunkt ist hier besonders relevant. Es ist die schizophrene Reaktion auf Kommunikationen in bestimmten Zweier- und Dreier-Beziehungen, was psychiatrisch interessant ist und es erforderlich macht, diese so übliche Reaktion auf übliche Faktoren in früheren Verhältnissen zurückzuführen. Deshalb ist es wichtig, die Kommunikationslage des double bind von dem Punkt aus zu charakterisieren, den der Empfänger und Beantworter in dem System einnimmt.

In einer unserer Feststellungen zum double bind in jüngerer Zeit haben wir, uns auf die Umstände beziehend, denen sich ein Patient kurz vor seinem psychotischen Zusammenbruch gegenübersah, diesen Gesichtspunkt zum Teil aufgezeigt: »Wir haben unsere Auffassung des double bind als die einer Situation beschrieben, in der 1. sich jemand mit widersprüchlichen Botschaften konfrontiert sieht, die 2. aufgrund von Verschleierung oder Verleugnung oder auch deshalb, weil die Botschaften auf verschiedenen Ebenen gegeben werden, nicht leicht als solche erkennbar wird, und der er 3. nicht entrinnen kann und in der er auch nicht die Widersprüche feststellen und wirklich kommentieren kann« (2). Diese Charakterisierung des double bind kann, damit ein Maximum an Klarheit gewährleistet ist, wie folgt erweitert werden:

  1. In einer double bind Situation wird jemand mit einer bedeutsamen Kommunikation konfrontiert, die zwei Botschaften auf verschiedener Ebene oder verschiedenen logischen Typs enthält, zwischen denen zwar eine Beziehung besteht, die sich aber nicht vereinbaren lassen.

  2. Die Möglichkeit, das Feld zu räumen, ist blockiert. Eine derartige Flucht, auf die anschließend wahrscheinlich eine befriedigendere Kommunikation anderswo hergestellt werden würde, wäre als potentieller Ausweg eine natürliche und angebrachte Reaktion. Gewöhnlich ist er deshalb versperrt, weil der Betreffende von der Person oder den Personen abhängig ist, welche die widersprüchlichen Botschaften abgeben. Wenn die Abhängigkeit in der Situation selbst liegt (wie in der Kindheit oder bei Krankheit), ist der Fall klar. Komplizierter sind die wichtigen Situationen, in denen die Abhängigkeit (oder der mächtige Glaube daran) durch andere Botschaften einer totalen double bind Kommunikation in einem Maße genährt wird, das weit über die physische oder emotionale »Realität« der augenblicklichen Lebenssituation des Betreffenden hinausgeht.

  3. Deshalb ist es für ihn wichtig, auf die gegebene Kommunikation adäquat zu reagieren, wozu gehört, auf ihren Doppelsinn und Widerspruch zu reagieren. Zwei gegensätzliche bedeutsame Botschaften bedeuten zwei unvereinbare Gebote, sich zu verhalten, da jede Botschaft zu einer Verhaltensreaktion auffordert. Wird der Doppelsinn und die Unvereinbarkeit der empfangenen Botschaften nicht erkannt und somit nicht darauf reagiert, so hat das für den Empfänger auf verschiedenen Ebenen des Verhaltens weitere Schwierigkeiten zur Folge: zunächst einen Mangel an Unterscheidungsvermögen gegenüber den Arten der empfangenen Botschaften; dann, daraus folgend, innere Verwirrung und Verzerrung von Ideen und Affekten; schließlich ein Reden oder Handeln, das entweder direkt oder durch eine Alles-oder-nichts-Reaktion auf einen Aspekt der empfangenen Botschaft Verwirrung und Spaltung ausdrückt. Außerdem sind solche unangemessenen und sich nur auf Teile beziehenden Reaktionen sehr dazu angetan, eine weitere Botschaft zu provozieren, mit der die Reaktion verurteilt wird; zum Beispiel: »Warum redest du nicht, wenn ich mit dir spreche?« oder »Du regst dich immer viel zu leicht auf.« Der Gesamtverlauf hat dann die Form eines größeren, umfassenderen double bind, und die Situation verschlimmert sich noch. Wie es scheint, wäre die einzig adäquate Reaktion auf eine solche widersprüchliche Kommunikation, die Inkongruenz zu erkennen und aufzuzeigen. Das wäre möglich, (a) indem die Inkongruenz als solche bezeichnet würde - d. h. durch Übergang auf eine andere Kommunikationsebene und ausdrückliche Besprechung der ursprünglichen Kommunikationslage. Möglich wäre auch, (b) mit einer offen doppelsinnigen Botschaft zu antworten oder (c) die Art der double bind Widersprüchlichkeit mit einer humorvollen Antwort bloßzustellen; denn im Humor sind immer vielfältige Botschaftsebenen und Widersprüchlichkeiten enthalten. Zur Veranschaulichung können wir uns überlegen, welche Reaktionen auf eine leichte Form von inkongruenten Botschaften möglich wären. Die Frage: »Möchten Sie nicht das Fenster öffnen?« wird in einer Weise oder einem Zusammenhang gestellt, die anzeigen, dass in Wirklichkeit der Sprecher selbst das Fenster geöffnet haben möchte, was er aber nicht zugibt. Möglich wäre (a): »Sie sprechen, als würden Sie fragen, was ich möchte; dabei scheinen Sie mir eher sagen zu wollen, was ich tun soll.« Oder (b): »Ich möchte nicht, aber wenn Ihnen etwas daran liegt, will ich das für Sie tun.« Oder (c): »Vielen Dank, dass Sie sich meinetwegen Gedanken machen, aber lässt es sich von unten öffnen?« Das soll jedoch nicht heißen, dass irgendeine dieser Antworten leicht zustande zu bringen wäre, auch wenn wir die Struktur des double bind in diesem Aufsatz einzig und allein unter dem Vorzeichen betrachten, dass es sich um eine Art Manöver mit verschiedenen denkbaren Ergebnissen handelt, und nicht einfach nur die »erfolgreich gestellte« Beziehungsfalle im Auge haben.

  4. Eine adäquate Reaktion ist aufgrund der Verschleierung, der Verleugnung und dem Verbot, die den beiden widersprüchlichen Botschaften innewohnen oder mit ihnen verbunden werden, schwer zu vollziehen. Die Kommunikationsfaktoren, die dazu dienen können, die Bewusstwerdung und/oder Kommentierung des Doppelsinns und der Widersprüchlichkeit zu hemmen, sind vielfältig; einige sind plump, andere sehr subtil, einige explizit und andere implizit, einige verbal und andere tonal, von Gebärden oder vom Kontext abhängig, einige sind positiv und andere negativ. Vermutlich ist es diese Vielfalt und Subtilität, was Patienten wie Psychiatern den Blick für die Existenz der Kommunikationsstruktur des double bind, wie seiner ätiologischen Bedeutung für die Schizophrenie verstellt hat. Im Zusammenhang damit steht die Überbetonung eines spezifischen Traumas durch die Psychiatrie sowie ihre Vernachlässigung des Wiederholungscharakters grundlegender Lernsituationen (3). Ein paar derartige Faktoren von besonderer Bedeutung können hier erwähnt werden, wie sie sich in double bind Situation mit zwei Personen feststellen lassen; einige Entsprechungen in Dreier-Situationen werden wir später betrachten.

    1. Verschleierung: Die double bind Kommunikation enthält ihrer Natur nach zwei Haupthindernisse für die offene Erkenntnis der grundlegenden Widersprüchlichkeit. Erstens kontrastieren die Botschaften, die verschiedenen Ebenen oder verschiedenen logischen Typen angehören, nicht direkt, ob nun eine verbale Botschaft eine andere inkongruent qualifiziert oder eine verbale Botschaft mit Ton oder Gestik kollidiert. Es gibt keine klare Konfrontation - »A ist wahr. Nein. A ist unwahr.« -, selbst wenn die beiden Botschaften verschiedene und widersprüchliche Verhaltensvorschriften übermitteln. In diesem Zusammenhang muss man daran erinnern, dass objektiv kaum vernehmbare Signale - leicht zu ignorieren oder zu verleugnen - die Bedeutung viel klarerer oder längerer Botschaften drastisch modifizieren oder sogar ins Gegenteil verkehren können. Zweitens enthält die Tatsache, dass sich nur eine Person an den Empfänger wendet, die Implikation, es handle sich in der gegebenen Situation um »nur eine Botschaft« oder doch zumindest um Botschaften, die miteinander vereinbar sind. Der Umstand, dass diese Person für den Adressaten wichtig ist, verstärkt diesen Eindruck noch; der Angesprochene kann weder flüchten noch die Botschaften ignorieren - er kann nicht einmal wirklich an ihnen zweifeln oder sie in Frage stellen. Diese verschiedenen Faktoren lassen sich schon an dem einfachen Beispiel feststellen, wenn eine Mutter sagt: »Komm her zu mir, Liebes«, mit einem leichten Unterton verborgener Feindseligkeit in der Stimme oder einem leichten körperlichen Rückzug. Die Inkongruenz besteht tatsächlich, wird jedoch verschleiert, und es ist nicht leicht, seine Mutter aufgrund eines so offensichtlich geringfügigen Anzeichens zur Rechenschaft zu ziehen.

    2. Verleugnung: Die Wirksamkeit der gerade erwähnten Faktoren lässt sich offensichtlich noch verstärken, wenn den ersten zwei inkongruenten Botschaften weitere hinzugefügt werden, mit denen der Gegensatz offen verleugnet wird und man dem Empfänger vielleicht auch noch die Verantwortung zuschiebt mit der Behauptung, er habe missverstanden, wobei der Sender nachdrücklich seine Übereinstimmung mit dem Empfänger und seine wichtige Position ihm gegenüber versichert. Um das oben angeführte Beispiel fortzusetzen: Würde das Kind so weit gehen, eine Bemerkung über den Ton der Mutter zu machen, so würde es wahrscheinlich zur Antwort bekommen: »Das bildest du dir nur ein, Liebes; du weißt doch, wie sehr Mutter dich liebt.«

    3. Verbot: Die Verstärkung kann ebenso wie durch Verleugnung auch durch »keine Botschaft« erfolgen - d. h. durch starkes Ignorieren der tatsächlichen Kompliziertheit der Kommunikation und der Möglichkeiten der Widersprüchlichkeit sowie dadurch, dass man so tut, als seien die Äußerungen über jeden Zweifel erhaben. Die Untersuchung der Kommunikationslage kann auch durch direktes Verbot, sie zu kommentieren, oder durch verschiedene Drohungen gehemmt werden, zum Beispiel durch Anzeichen für Rückzug oder Verstörtheit auf Seiten der Eltern, sobald ein Zweifel auftaucht. Alle diese Faktoren werden noch weiter verstärkt, wenn der Urheber, wie es in der double bind Situation üblich zu sein scheint, seine eigene Großmut und seine Sorge für das Wohlergehen des anderen hervorhebt. Entsprechend diesen Möglichkeiten könnte sich unsere hypothetisch vorgestellte Mutter so verhalten, als sei ihre inkongruente Äußerung völlig simpel und aufrichtig; würde das in Frage gestellt, so wäre ihre Antwort vielleicht: »Reg dich nicht auf wegen nichts, Liebes; überlass das nur Mutter«; oder sie würde sich wegen eines ungerechten Angriffs auf ihre mütterliche Liebe und edle Gesinnung verwirrt oder verletzt zeigen; oder sie könnte auch einfach völlig unfähig erscheinen, den Kern der aufgeworfenen Frage zu sehen, eine Reaktion, die eine der verheerenderen Formen des Rückzugs sein kann.

Immer dann, wenn eine ursprüngliche double bind Kommunikation durch eine solche Botschaft der Verschleierung, Verleugnung oder des Verbots verstärkt wird, erzeugt die Verbindung eine neue double bind Struktur in erweitertem Maße. Folgt zum Beispiel auf ein Paar inkongruenter Botschaften eine weitere Botschaft, mit der die Existenz irgendeines Widerspruches verleugnet wird, so umfasst diese Verbindung ein weiteres Paar inkongruenter Botschaften, auf anderen Ebenen, deren Inkongruenz schwer nachzuweisen und zu handhaben ist. Und dieser Prozess kann sich wiederholen, wobei er jedes mal weitere Kreise zieht. Zweifelt das Kind weiterhin an der Verleugnung auf Seiten der Mutter, so wird diese vielleicht sagen: »Du musst dich über etwas geärgert haben, wenn du deine eigene Mutter so behandelst, die dich doch so liebt.« Die pathogene Macht, die dem Schema einer double bind Kommunikation innewohnt, und die Schwierigkeit, es zu ändern, scheinen in enger Verwandtschaft mit diesem progressiven und kumulativen Prozess zu stehen. [Lehrreich ist in diesem Zusammenhang der Vergleich mit der Schilderung von Stanton und Schwartz, wie verborgene, institutionelle Konflikte sich tendenziell entwickeln und ausbreiten (4).]

 

Vater, Mutter und schizophrenes Kind

In unseren ursprünglichen Konzeptionen einer double bind Situation haben wir uns auf den Fall konzentriert, in dem jemand von einem anderen zwei verwandte, aber widersprüchliche Botschaften, die verschiedenen Ebenen angehören, empfängt, wobei Flucht nicht möglich und eine Reaktion wichtig ist, aber der Aufspürung und Kommentierung der Widersprüchlichkeit bestimmte ernste Schwierigkeiten entgegenstellen. Allerdings haben wir in unseren früheren Studien kurz auf die Existenz komplexerer Möglichkeiten hingewiesen und erkannt, dass eine solche Situation nicht unbedingt von der Mutter allein erzeugt wird, sondern auch durch eine Verbindung von Mutter, Vater und/oder Geschwistern herbeigeführt werden kann (1). Betrachten wir nun Vater und Mutter in Beziehung zu einem Kind als besondere Dreier-Situation, die vermutlich in der Praxis höchst wichtig für die Schizophrenie ist, so wird deutlich, dass die meisten der Faktoren, die wir für die Zweier-Situation aufgezählt haben, auch in dieser Dreieckssituation auftreten können. Klar ist, dass Eltern nach einem gegebenen Schema einem Kind widersprüchliche Botschaften geben können. Klar ist, dass es für das Kind, das in einem umfassenden oder kollektiven Sinne mehr von beiden Elternteilen abhängt als nur von einem, wichtig ist, mit den widersprüchlichen Einflüssen auf sein Verhalten fertig zu werden, indem es die Inkonsistenz dieser Botschaften bewältigt. Klar ist aber auch, dass ein Elternteil oder alle beide ebenfalls Botschaften übermitteln können, welche die Widersprüchlichkeit verschleiern oder verleugnen bzw. ihre Untersuchung in ziemlich der gleichen Weise verhindern, die wir eingangs betrachtet haben.

Weniger klar - wenn auch völlig einleuchtend, sobald man es erkannt hat - ist zunächst, dass selbst jene verhüllenden Faktoren, die der Zweier-Situation innezuwohnen scheinen, in der Dreier-Situation leicht Parallelen oder Äquivalente finden können. Der Vergleich und die Konfrontation von möglicherweise widersprüchlichen Botschaften eines Senders sind schwierig, da die Botschaft sich nicht leicht trennen lässt. Mit zwei Sendern kann es gleichfalls schwierig sein, da die Botschaften zu sehr getrennt sind - nach Personen, nach der Zeit, nach verschiedenen Ausdrucksweisen. Und dann können sie auch noch in der Ebene differieren: »Wenn der double bind nicht nur von einer Person, sondern von zweien verhängt wird..., kann zum Beispiel ein Elternteil auf einer abstrakteren Ebene die Gebote des anderen Elternteil negieren« (1). Sogar die Frage der »Einigkeit« und ihrer Implikationen hinsichtlich einzelner oder übereinstimmender Botschaften kann leicht genug auftauchen, wenn zwei Personen tatsächlich getrennt mit einer dritten kommunizieren, indem die beiden zu einer offensichtlichen Einheit gruppiert werden. Die Sprache sorgt mit Pluralpronomen (»Wir möchten, dass du das und das tust«) oder kollektiven Nomina wie »Eltern« für diese Möglichkeit. Eine weitere Möglichkeit liegt darin, die Botschaften der beiden ausdrücklich als gleich zu identifizieren (»Dein Vater und ich sind der Meinung, dass es dir noch nicht gut genug geht, um nach Hause zu kommen«). Auch kann ein Elternteil als schweigend, botmäßig oder an einer Situation unbeteiligt auftreten und dem anderen ostensiv die Gesprächsführung überlassen. Aber natürlich sind diese Meta-Ebene-Hinweise auf Einheit und die Behauptungen der Übereinstimmung und der Identität der Botschaften unabhängig von der tatsächlichen Ähnlichkeit oder Differenz von zwei Botschaften - das heißt, sie können falsch sein. Die Dreier-Situation enthält somit für ein »Opfer« Möglichkeiten, auf eine Weise mit widersprüchlichen Botschaften konfrontiert zu werden, dass es äußerst schwierig ist, die Inkonsistenz festzustellen und zu kommentieren, ganz ähnlich, wie es bei der Zweier-Beziehung der Fall ist.

Obwohl wir hier hauptsächlich mit der begrifflichen Analyse der Kommunikationsmöglichkeiten in der Dreier-Beziehung beschäftigt sind, sollten wir doch feststellen, dass sich das empirische Material bereits häuft, aus dem hervorgeht, dass die oben angedeuteten Möglichkeiten tatsächlich in Familien mit einem schizophrenen Angehörigen anzutreffen und für die Schizophrenie relevant sind. So passen zum Beispiel viele der Beobachtungen von Lidz und seinen Mitarbeitern über die Interaktion in der Familie in unser Schema, obwohl deren Arbeit ganz anders orientiert und konzipiert ist als die unsere. Typischerweise zeigten die untersuchten Familien entweder eine »Spaltung« (marital schism) oder eine »Strukturverschiebung« (marital skew) in der Ehe (5). »Strukturverschiebung« ist in einer Situation gegeben, in der Vater und Mutter offensichtlich eine ziemlich eigenartige Ansicht über Ehe und Familienleben teilen: »Die verdrehte Vorstellung des einen Partners wurde vom anderen akzeptiert oder geteilt, wodurch eine Atmosphäre der folie à deux geschaffen wurde« (5). Diese Übereinstimmung ist jedoch mehr scheinbar als real, und Hinweise auf Meinungsverschiedenheit und widersprüchliche Botschaften an die Kinder werden mittels verhüllter Botschaften gegeben. »Eine beträchtliche "Maskierung" möglicher Konfliktquellen lag vor, die eine unwirkliche Atmosphäre schuf, in der das, was gesagt und eingeräumt wurde, sich von dem tatsächlichen Fühlen und Tun unterschied« (5). In der Familie S. »bestand tatsächlich eine starke Spaltung, trotz des Friedens, der zwischen den Eheleuten herrschte« (5). »Der Ausdruck "Maskierung" ... bezieht sich auf die Fähigkeit eines Elternteils oder beider, eine beunruhigende Situation in der Familie zu verschleiern und so zu tun, als würde sie nicht existieren«; doch wird in einem typischen Fall auch eingeräumt, dass die Ehefrau zwar einen Mythos der glücklichen Ehe mit einer starken Vaterfigur aufrechterhielt, aber »die Kinder gar nicht anders konnten, als den Schwindel zu durchschauen« (6).

Ein weiterer Auszug aus der Falldarstellung macht das Gefüge von offen ausgedrückter Einigkeit und verhüllt ausgedrückten Differenzen besonders klar. »Entsprechend seinen Anschauungen missbilligte der Vater jede Feindseligkeit und brachte niemals eine zum Ausdruck. Jeder in dieser Familie war "glücklich". Die Mutter jedoch bekrittelte und benörgelte trotz ihrer Unterwürfigkeit die Abneigung des Vaters gegen frische Luft, Sport und Leibesübungen, die sie hoch schätzte und für ihre Kinder als äußerst wichtig betrachtete« (6). Ein weiterer Punkt, der in diesem Exzerpt beleuchtet wird, ist besonders beachtenswert, wenn er auch den Hauptgegenstand dieses Aufsatzes nur am Rande berührt: Die Mutter rechtfertigt ihren Streit mit dem Mann nicht unter dem Vorzeichen ihrer eigenen Individualität und ihrer Beziehung zu ihm, sondern mit ihrem »uneigennützigen« Interesse am Wohlergehen der Kinder; das heißt, die Verantwortung für Meinungsverschiedenheiten zwischen den Eltern wird den Kindern zugeschoben. Nach unserer Erfahrung mit den Familien Schizophrener ist das typisch (wenn auch nicht auf die Mütter beschränkt) und wirkt sich auf die Kinder und die Familie als ganze verheerend aus (7).

Diese Exzerpte machen klar, dass die »Strukturverschiebung in der Familie« nach Lidz Situationen umfasst, in denen die Eltern scheinbar übereinstimmen, aber insgeheim geteilte Meinungen haben - Situationen, die hinsichtlich der Kommunikation inkongruente Botschaften an die Kinder enthalten, die aber mit Verschleierung, Verleugnung und Verbot der Kommentierung einhergehen, deren Wirkungsweise wir bereits umrissen haben. Tatsächlich gibt es in einer Falldarstellung eine Annäherung an diese Begriffe: »Obwohl von den Eltern keiner den anderen vor den Kindern offen diskreditierte«, gab es in der Familie andere »klare« oder »offensichtliche« Hinweise auf Vater, Mutter und ihre Beziehung, die zu »verwirrenden Diskrepanzen« und zu »unvereinbaren und widersprüchlichen Elternbildern führten« (8).

Betrachtet man Lidz' Erörterung der Väter von Schizophrenen (8, 9) zusammen mit seiner Erörterung der »Strukturverschiebung in der Familie«, so scheint es, dass der Spielraum in diesen Familien, auch wenn ein Elternteil offen dominiert, äußerst weit ist - er erstreckt sich vom Bild scheinbarer Übereinstimmung, die in Wirklichkeit natürlich vom unterwürfigen Partner untergraben wird, bis zu einem Bild, in dem der eine Elternteil als wesenlos erscheint und durch passiven Rückzug sowohl Übereinstimmung wie die Unmöglichkeit dazu ausdrücken kann. Dieses letztere Bild, in dem »die Kinder eigentlich vaterlos sind«, steht vielleicht in der Mitte zwischen der aktiveren Dreier-Interaktion und der Zweier-Interaktion, die wir anfangs untersucht haben.

Lidz' Kategorie der »Spaltung in der Ehe« ist nicht so leicht mit unseren Auffassungen zu verbinden, da sie offene Misshelligkeit zwischen den Eltern einschließt und tatsächlich auch hervorhebt, »starkes chronisches Ungleichgewicht und Zwietracht« (6). Trotzdem könnten diese Familien, wie es scheint, in Einklang mit unserem Schema gesehen werden. Ohne vollständigere Informationen über die Familien von Lidz und ohne sie selbst in Augenschein genommen zu haben, können wir dazu natürlich nur einige denkbare Erklärungen vorschlagen, die unserer eigenen Erfahrung mit den Familien Schizophrener entspringen. Werden den Kindern die Schwierigkeiten und Konflikte der Eltern deutlich? Nach unserer Erfahrung äußern die Eltern uns gegenüber oft bereitwillig ihre Gefühle und Schwierigkeiten, wiederholen aber höchst ungern, was sie gesagt haben, vor dem Patienten, ihrem Kind. Auch die Frage des Zeitpunkts taucht hier auf. Waren die Konflikte der Eltern zunächst verhüllt, um erst später manifest zu werden, zu einer Zeit, da ein Kind das Gefühl haben konnte, an dem aufbrechenden Konflikt Schuld zu sein? Drehen sich die offenen Konflikte um die wirklichen Streitfragen? Nach unserer Erfahrung sind die Familien Schizophrener geschickt darin, sich in Auseinandersetzungen zu verstricken, in denen die Hauptkonflikte eher verschleiert als geklärt werden. Derartige Auseinandersetzungen können sich um Randfragen oder sogar ganz irreale Dinge drehen, wie Lidz selber an einem Beispiel zeigt: In einer Familie gab der Vater vor, eine Mätresse zu haben, was gar nicht stimmte; doch »Viele der Familienstreits drehten sich um diese nicht existente Situation« (6). Es ist klar, dass diese Familien sich über bedeutende Gegensätze und Widersprüche mittels verschiedener Kommunikationsebenen verständigen und deren Erkennung hemmen müssen, auch wenn diese Kommunikation in einer Weise stattfindet, welche die vorher besprochene umkehrt bzw. den Gegenpol dazu bildet. Das heißt, die Eltern in diesen Familien werden dadurch charakterisiert, dass sie Differenzen und Entzweiung offen zum Ausdruck bringen, ja sogar betonen, doch handelt es sich um Ehepaare, die schon viele Jahre zusammengelebt haben und weiterhin zusammen leben werden. Natürlich kommunizieren sie auf der Handlungsebene irgendeine Beziehung. Sie zeigen sich abhängig - voneinander - aber nur, um diese Abhängigkeit emsig zu leugnen.

Bowens Befunde (10) verbinden in gewisser Hinsicht die beiden polaren Bilder, die aus Lidz' Familien abgeleitet wurden. Er erlebte Eltern, die mit »bemerkenswerter emotionaler Distanz« gegeneinander kämpften, indem sie offene, hochgradig emotionale Zwietracht mit förmlicher, kontrollierter Übereinstimmung verbanden. Einige Familien neigten zwar dem einen oder anderen Extrem zu, doch waren den meisten »die Differenzen bewusst, nur umgingen sie die heiklen Punkte. Sie hielten eine unpersönliche Distanz soweit aufrecht, wie erforderlich war, um die Zwietracht auf ein Minimum zu begrenzen« (10). In unsere Terminologie übersetzt, hieße das: Sie gaben widersprüchliche Botschaften von sich, betonten trotz grundlegender Nichtübereinstimmung absichtlich ihre Übereinstimmung und Gleichartigkeit. Nach unserer Auffassung ist dieses Verhalten in der Familie natürlich pathogen, und in dem Zusammenhang ist es interessant, dass nach Bowen das steigende Selbstbewusstsein des Vaters in der Familientherapie den therapeutischen Fortschritt einleitete, zunächst über einen offener werdenden Vater-Mutter-Konflikt und dann durch allgemeine Besserung der Familienbeziehungen, wobei die Familien mit den offensten Unstimmigkeiten in der Familientherapie am besten vorankamen.

Wynne und seine Kollegen haben die Familien von Schizophrenen hinsichtlich Rollenverhalten und Gesamtstruktur der Familienrollen untersucht (11), ein Zugang, der sich von unserem völlig unterscheidet. Dennoch machen Wynnes klinische Beispiele, seine Darstellung von Interaktion in der Familie und seine Hauptbegriffe evident, dass in den von ihm untersuchten Familien widersprüchliche Gebote sowie die Verschleierung der Widersprüche an der Tagesordnung sind. Sein Grundbegriff der »Pseudo-Gemeinschaft« - für Beziehungen, die nicht so eng sind, wie sie vorgeben zu sein - impliziert zwangsläufig die Existenz gewisser Botschaften, die Anspruch auf Nähe erheben, während andere auf das Gegenteil hinweisen. Das wird besonders klar in einer Erörterung der Art und Weise, n der die Familienmitglieder kooperieren, um sich der Erkenntnis von Pseudo-Gemeinschaft zu entziehen: »Dagegen begünstigen die gemeinsamen Mechanismen [der Interpretation von Kommunikationen], wenn beide Seiten einer widersprüchlichen Erwartung kommuniziert werden, in den charakteristischen Beziehungen von Schizophrenen ein Versagen der Bedeutungsauswahl« (11); das heißt, die Auseinandersetzung mit der Existenz von Widersprüchlichkeit überhaupt wird gemeinsam vermieden. Wynne gibt selbst an, dass diese Auffassung mit dem ursprünglichen double bind Konzept unserer Gruppe überein zu stimmen scheint (11). Der Begriff des »Gummi-Zauns«, mit dem sich die Familie nach außen abschirmt, enthält ähnliche Implikationen. Ein derartiger »Gummi-Zaun«, der verschoben wird, damit alle Beziehungen, die sich als komplementär vertreten lassen, als innerhalb der Familie bestehend und alle, die nicht komplementär sind, als außerhalb bestehend definiert werden können, entspricht unseren Beobachtungen des Familienverhaltens; allerdings lässt sich dieser Zaun nur durch viel Widersprüchlichkeit und ihre Verschleierung aufrecht erhalten.

Ein überzeugendes Beispiel aus unserer eigenen familientherapeutischen Arbeit bestätigt diese Auffassungen und verbindet sie. In der betreffenden Familie hielten der Vater wie die Mutter eine Zeitlang daran fest, dass sie in allen wichtigen Fragen übereinstimmten und in ihrer Familie alles in Ordnung sei - mit Ausnahme natürlich des Kummers und der Sorge, die durch die Schizophrenie ihres Sohnes entstanden seien. Zu dieser Zeit war der Patient fast stumm und murmelte bloß: »Will nicht«, wenn er etwas gefragt wurde. Mehrere Monate hindurch versuchte der Therapeut in den wöchentlichen Familieninterviews die Eltern dazu zu bringen, sich offener über gewisse Dinge zu äußern, die offensichtlich Familienprobleme darstellten - zum Beispiel darüber, dass die Mutter eine starke Trinkerin war. Beide Eheleute leugneten lange, dass das ein Problem darstellte. Schließlich machte der Vater eine Kehrtwendung und sprach sich mit nur leicht verhülltem Ärger aus, wobei er seine Frau beschuldigte, jeden Nachmittag mit Freunden so viel zu trinken, dass sie ihm am Abend keine Gesellschaft mehr bieten könne. Sie gab ihm ziemlich barsch heraus und beschuldigte ihn, sie sowohl zu unterdrücken wie zu vernachlässigen, doch brachte sie im Laufe dieser Anklage einige ihrer eigenen Gefühle viel offener zum Ausdruck und redete frei über Differenzen zwischen ihnen. Diese Sitzung wurde mit den Teilnehmern in der nächsten Woche durchgesprochen (wobei die Tonbandaufnahme der Auseinandersetzung vorgespielt wurde). In der folgenden Sitzung fing der Sohn an, ziemlich zusammenhängend zu sprechen, wobei er sich ausführlich über seine Wünsche äußerte, das Hospital zu verlassen und eine Arbeitsstelle anzunehmen, und danach besserte sich sein Zustand weiterhin bemerkenswert.

 

Die Anstaltssituation

Die Dreier-Situation in der Anstalt hat große Ähnlichkeit mit jener in der Familie, wobei Einzelpersonen oder Gruppen Rollen übernehmen, die jenen der Eltern parallel laufen. Vielleicht ist diese Beziehung bei Familien von Schizophrenen besonders eng, da sie gleich zweckmäßig eingerichteten Organisationen dazu tendieren, eine Vorstellung von sich zu entwickeln und ihre Funktion mehr im Rahmen genau umrissener Rollen und ihrer Beziehungen zu sehen als in dem der Interaktion und der Entwicklung von Individualität. Dieser Aspekt der Familie, den ein Großteil des oben beschriebenen Materials ziemlich eindeutig impliziert, wird in einem unlängst veröffentlichten Aufsatz der Wynne Gruppe klar gelegt (12).

Die weithin bekannten Originalbefunde von Stanton und Schwartz über pathologische Erregung und heimliche Uneinigkeit im Ärztestab (4) bilden eine gute Grundlage für eine kurze Analyse der Anstaltssituation, obwohl ihr Bezugspunkt etwas enger oder weniger allgemein ist als der hier vertretene und ihr Beobachtungsstandpunkt ein anderer. (Weitere Anstaltsprobleme sind ausführlich von Fry (13) beschrieben und unter dem Aspekt des double bind analysiert worden.)

Zusammenfassend stellten Stanton und Schwartz fest: »Immer wenn ein Patient sich manisch erregt zeigte, war er der Uneinigkeit von zwei Personen ausgesetzt, denen ihre Uneinigkeit oft gar nicht bewusst war« (4). Und: »Pathologisch erregte Patienten waren ganz regelmäßig der geheimen, affektiv bedeutsamen Unstimmigkeit des Stabes unterworfen, und ihre Erregung endete, gleichfalls regelmäßig, gewöhnlich abrupt, sobald die Mitglieder des Stabes dazu gebracht wurden, ihre Unstimmigkeiten ernsthaft miteinander zu diskutieren« (4). Zu diesen Unstimmigkeiten gehörten Autorität, Einfluss und Entscheidungen:


Im Laufe der täglichen Festlegung der Behandlung eines einzelnen Patienten traten unvermeidlich kleine Unstimmigkeiten [zwischen Angehörigen des Ärztestabs] auf, die Entscheidungsbefugnis hatten. Wurden sie aus irgendeinem Grund zu Antagonisten, so neigten sie dazu, diese kleinen Unstimmigkeiten zu übertreiben, und waren nicht in der Lage, sie zu besprechen und beizulegen; zum Beispiel kann der eine... dem Patienten etwas regelrecht erlauben, was der andere... ihm regelrecht verbietet. Konnten sie das Problem nicht erörtern so spielte der restriktivere der beiden zunehmend die Rolle des Polizisten oder Schulmeisters, während der andere immer mehr die Rolle der nachsichtigen Mutter übernahm...

Die Reaktion des Patienten auf jeden der beiden entsprach ihren Rollen. Widersprüche, die im Laufe der Behandlung des Patienten auftraten, wurden systematisiert, und - was noch wichtiger ist - der ganze Prozess war in seinen mittleren Stadien sehr, sehr ruhig. (4)


Der Ausdruck »pathologische Erregung«, wie ihn Stanton und Schwartz benutzen, umfasst eine beträchtliche Skala symptomatischen Verhaltens: »erhöhte Spannung oder Konfusion«, gesteigerte »Selbstmordneigung«, »wahnhafte Anschuldigungen«, »offene Aggression«, »Überaktivität«, »Anzeichen für Dissoziation«. Die Autoren haben die Neigung, Rückzugsverhalten aus ihrem Bild auszuklammern, doch bleibt die Frage offen, ob diese Auslassung angebracht ist. Sie bemerken: »Es ist möglich, dass ganz ähnliche Phänomene häufig bei schizophrenen Patienten auftreten, bei denen... das Phänomen durch eine Rückzugstendenz kompliziert werden mag..., so dass eine Spaltung im sozialen Umfeld nicht aufgehoben wird und die dissoziierten Prozesse chronisch werden.« In ihrer Studie waren »auffällig zurückgezogene Patienten« jedoch »nur selten einer Unstimmigkeit ausgesetzt; um Teil des Dreiecksprozesses zu werden, muss der Patient offensichtlich einen bestimmten Grad an Aktivität entfalten« (4). Und im Lichte unserer eigenen Erfahrung mit der Familiensituation sowie in dem der oben angeführten Schriften anderer Autoren über die Familie liegt eine andere Interpretation nahe, die diese Auffassungen verbindet: Rückzug kann mit einer tieferen und beständigeren ins geheimen Unstimmigkeit zusammenhängen, so dass Unstimmigkeit wie Verhaltensstörung weniger ins Auge fallen als bei der offenen Erregung.

Auf jeden Fall geben Stanton und Schwartz Hinweise darauf, dass die in Fällen von Pathologischer Erregung auftretende Unstimmigkeit oft dadurch verdeckt wurde, dass sie (a) von den unmittelbar betroffenen beiden Parteien nicht direkt besprochen und (b) dem Patienten nicht offen mitgeteilt wurde, obwohl sie vielleicht anderen völlig klar war:


Dass eine Unstimmigkeit gegeben war, wurde von jedem Beteiligten oft erst lange, nachdem sie ihm eigentlich klar geworden sein musste, offen anerkannt - und eine solche Anerkennung musste der Erörterung und Beilegung vorausgehen. Auch die Diskussion zwischen den Kontrahenten wurde hinausgeschoben und oft erst durch die routinierte Vermittlung eines Dritten zustande gebracht... Die Unstimmigkeit wurde in ihren Frühstadien immer verheimlicht... Die beiden Beteiligten waren sich selbst nicht klar bewusst, was es mit ihr auf sich hatte, obgleich sie diese seit Wochen mit Freunden besprochen haben mochten und allen Mitgliedern des Stabes außer ihnen klar sein konnte, worum es ging. (4)


In anderen Fällen konnten die beiden Kontrahenten auch »die Formalitäten einer Erörterung der Aspekte in der Behandlung des Patienten durchlaufen, welche die Unstimmigkeit zwischen ihnen nur am Rande betraf«. Oder es trat eine Situation des Schweigens und der Zurückhaltung ein, wobei »ein Mitglied des Personals sich unauffällig verhält«. Und, was höchst erstaunlich ist, denkt man an Wynnes Erörterung der »Pseudo-Gemeinschaft« in der Familie und verschiedene Beispiele dafür, die wir oben anführten: »Pseudo-Übereinstimmung ist die Methode par excellence, eine Kontroverse in den Untergrund zu treiben, und als solche ist sie besonders gefährlich« (4). Dieses Anstaltsmaterial ist faszinierend in seinen manifesten Parallelen zu verschiedenen Aspekten des eingangs präsentierten Familienmaterials, und derartige Parallelen sind auch auf Seiten der Fachleute wie der Patienten nicht unbemerkt geblieben. Die Lidz Gruppe hat auf die Existenz von Ähnlichkeiten hingewiesen zwischen Situationen der Ehe-Spaltung und den Stanton-Schwartz Situationen, und auch auf eine dritte Möglichkeit hat sie aufmerksam gemacht: ähnliche Konflikte wegen des Patienten zwischen der Familie und dem Krankenhausstab als Kontrahenten (14). Allerdings haben sich diese Autoren nicht mit der allgemeinen oder formellen Darstellung derartiger Situationen befasst. Auf der anderen Seite hat einer unserer Patienten in der Therapie ganz deutlich seine Furcht geäußert, dass sein Therapeut und der Stationsarzt seinetwegen in Konflikt sein könnten, zu seinem Nachteil und außerhalb seiner Kontrolle, geradeso, wie das bei seiner Frau und seiner Mutter der Fall war (2). Das Material von Stanton und Schwartz hat eine noch weitere und umfassendere Bedeutung, da ihre Bemerkungen über die Beilegung dieser Situationen viele Ideen für therapeutische Eingriffe in die Familiensituation von Schizophrenen enthalten. Sie vernachlässigen jedoch in beträchtlichem Maße die Rolle der »Wohltätigkeit« bei der Verschleierung von Widersprüchen und der Vergrößerung ihrer Wirkungen, obwohl diese Rolle indirekt an anderer Stelle sichtbar wird, wenn die Krankenhausfinanzen zur Sprache kommen. Stanton und Schwartz behandeln einen verwandten Gegenstand - sehr relevant für das Funktionieren der Familie recht positiv, wenn sie Funktion und Moral der Organisation besprechen. Dass ihre Beobachtungen zutreffen, demonstrieren unsere Beispiele, aus denen hervorgeht, dass die bloße Enthüllung ins geheimer Konflikte bei den Eltern noch vor ihrer Beilegung mit einer Besserung beim Patienten verbunden ist. Abschließend müssen wir aber solchen manifesten und besonderen Ähnlichkeiten und Zusammenhängen, so interessant und wichtig sie sind, den Rücken kehren und uns noch einmal einem formalen Kommunikationsschema in diesen Anstaltssituationen zuwenden, das dem in den bereits untersuchten Situationen von Mutter-Kind und Familie recht ähnlich ist. Dieser generellen und formellen Ebene gilt unser zentrales Interesse, da sie für die Bildung einer allgemeinen Theorie der zersetzenden Interaktion und somit für die Praxis äußerst wichtig ist.

Stanton und Schwartz sagen direkt ziemlich wenig über ihre Situationen der heimlichen Unstimmigkeit im Sinne einer Kommunikation aus der Sicht des Patienten; sie stellen ab auf Kommunikation und Interaktion des Ärztestabs einerseits und die Symptome des Patienten andererseits. Nur beiläufig bemerken sie, dass der Patient mit zwei verschiedenen Rollen versehen ist, denen er beiden gerecht werden muss; mit anderen Worten: »Die beiden Personen in seinem Leben, die für ihn von unmittelbarster Bedeutung waren, haben sozusagen in entgegengesetzten Richtungen an ihm gezogen« (4), doch nicht einmal so klar und deutlich. Diese Hinweise, bringt man sie zusammen mit einer umgekehrten Betrachtung ihrer Bemerkungen über die Kommunikationen des Ärztestabs (etwa so, wie wir bereits unsere ursprüngliche Darstellung des double bind umgekehrt haben), ergeben wiederum ein charakteristisches Allgemeinbild:

Der Patient

  1. wird mit widersprüchlichen Botschaften konfrontiert (und zwar zwangsläufig, da die beiden anderen Parteien ihm ihre verschiedenen Ansichten auf irgendeine Weise übermitteln müssen und jeder Versuch, dieser Inkongruenz auszuweichen, den Heimlichkeitscharakter der Situation verstärkt; auch intensiviert ein derartiges Ausweichen das in diesen Situationen vermutlich immer beträchtliche Maß, in dem jede der beiden Personen zwei inkongruente Botschaften abgibt und das verschleiert - d. h. sowohl als Einzelner double bind Botschaften abgibt wie sich gemeinschaftlich in einer größeren double bind Botschaft engagiert);

  2. von Seiten derer, die Autorität über ihn haben und von denen er abhängig ist;

  3. so dass es wichtig ist, die widersprüchlichen Einflüsse dieser Botschaften zu erkennen und mit ihnen fertig zu werden; während

  4. jede Kenntnisnahme und Einschätzung dieser Widersprüche erschwert wird durch Nichtwahrnehmung, Verschleierung, Verleugnung, die als Mechanismen sämtlich im Rahmen der »Eintracht« und der »Wohltätigkeit« des Hospitals operieren, und nicht zuletzt auch durch die Krankheit des Patienten selbst und damit durch die unterstellte Unzuverlässigkeit seiner Wahrnehmungen.

Ein Zugang von der Kommunikation her hat also dazu beigetragen, ein Grundschema zu entdecken und zu klären, dass für die Genese des schizophrenen Verhaltens in drei Milieus signifikant ist, die sich in der Größe und der Art des beteiligten Sozialsystems unterscheiden. Abschließend können wir feststellen, dass Weiterentwicklungen und Erweiterungen einer derartigen Analyse von Kommunikationsmustern in eine Erforschung anderer, verwandter Probleme von psychiatrischem Interesse bereits logisch aus dieser Arbeit ableitbar scheinen. Zum Beispiel könnte man komplexere Systeme von vier oder mehr Beteiligten untersuchen. Das wäre für viele Fragen relevant, wie zum Beispiel für die, welche Rolle Geschwister in der Familie eines Schizophrenen spielen oder welcher Art die Interaktion ist, wenn ein potentiell schizophrener Jugendlicher sich in eine Liebesbeziehung außerhalb des Hauses verstrickt. Man könnte über das Gebiet der Schizophrenie hinausgehen und untersuchen, ob weitere Grundmuster widersprüchlicher Kommunikation an anderen Formen psychiatrischer Störung beteiligt sind. Um einen vielleicht stark simplifizierten Fall zu erwähnen: Könnte eine zyklische Störung wie das manisch-depressive Irresein mit Widersprüchen in Beziehung stehen, die nicht nebeneinander, sondern in einem zeitlichen Nacheinander existieren und damit ein Schema des Wechsels bilden? Oder man könnte einen weiteren Schritt in Richtung Sozialpsychiatrie machen und die Existenz, Behandlung und Auswirkungen inkongruenter Botschaften in weiteren Bereichen der sozialen und kulturellen Organisation untersuchen. Bestimmt sind die großen Institutionen von Wirtschaft, Politik und Religion nicht völlig frei von diesen Problemen; gibt es bei ihnen doch widersprüchliche Botschaften und deren Verschleierung, die Verleugnung des eigenen Verhaltens und der eigenen Verantwortung sowie die Beteuerung von Eintracht und Wohlwollen, die, wie wir gesehen haben, im System der Familie wie in dem der psychiatrischen Klinik soviel Schwierigkeiten verursacht haben.

 

Bibliographie

J. H. Weakland, »Double-Bind«-Hypothese und Dreier-Beziehung (The Double-Bind-Hypothesis of Schizophrenia and Three-Party-Interaction), D. D. Jackson, ed., The Etiology of Schizophrenia, New York 1960. © 1960 by Basic Books, Inc., New York.

  1. G. Bateson, D. D. Jackson, J. Haley und J. H. Weakland, »Toward a theory of schizophrenia«, in Behavioral Sci., I : 251-264, 1956.
  2. J. H. Weakland und D. D. Jackson, »Patient and therapist observations on the circumstances of a schizophrenic episode«, in A. M. A. Arch. Neurol. & Psychiat., 79 : 554-574, 1958.
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  6. T. Lidz, A. R. Cornelison, D. Terry und S. Fleck, »The intrafamilial environment of the schizophrenic patient: VI. the transrnission of the irrationality«, in A. M. A. Arch. Neurol & Psychiat., 79 : 305-316, 1958, deutsch: »Irrationalität als Familientradition«, in Psyche, XIII : 315-329, 1959/60.
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  10. M. Bowen, R. H. Dysinger und B. Basamania, »The role of the father in families with a schizophrenic patient«, in Am. J. Psychiat., 115 : 1017-1020, 1959.
  11. L. C. Wynne, I. M. Ryckoff, J. Day und S. I. Hirsch, »Pseudomutuality in the family relations of schizophrenics«, in Psychiatry, 21 : 205-220, 1958.
  12. I. M. Ryckoff, J. Day und L. C. Wynne, »The maintenance of stereotypen roles in the families of schizophrenics«, Aufsatz vorgelegt auf dem Treffen der Am. Psychiatric Assoc. San Francisco, Mai 1956.
  13. W. F. Fry jr. »Destructive behavior on hospital wards«, in Psychiatric Quarterly.
  14. S. Fleck, A. R. Cornelison, N. Norton und T. Lidz, »The intrafamilial environment of the schizophrenic patient: II. interaction between hospital staff and families«, in Psychiatry, 20 : 343-350, 1957.